Vom Saulus zum Paulus?

Neil LaButes „Zur Mittagsstunde“ in Wuppertal

von Frank Becker

Thomas Braus - Foto © Uwe Schinkel

Vom Saulus zum Paulus?
 
Zur Mittagsstunde
Drama von Neil LaBute
 
Inszenierung: Schirin Khodadadian - Bühne & Kostüme: Carolin Mittler – Musik: Katrin Vellrath – Dramaturgie: Barbara Noth – Regieassistenz: Barbara Büchmann – Fotos: Uwe Schinkel
Besetzung: Thomas Braus: John - Stefan Walz: Anwalt / Inspektor / Ein Mann - Philippine Pachl: Ginger / Jenny / Jesse / Eine Frau
 
Aktueller kann die Premiere eines kontroversen Theaterstücks wohl von der Politik nicht unterstützt werden:  Als Neil LaButes „Zur Mittagsstunde“ (The Break of Noon, 2010) am Samstagabend im Wuppertaler Schauspiel seine Premiere erlebte, war grade durch die Nachrichten gegangen, daß der der amerikanische Präsident Donald Trump, entgegen aller Zusagen nach dem Schulmassaker von Parkland/Florida, sich demonstrativ hinter die Lobby der Waffenproduzenten und die NRA (National Rifle Association) gestellt hat. Das Massenmorden und Amoklaufen durchgeknallter Amerikaner geht also weiter. Mit einer solch furchtbaren Tat, den scheinbaren Gründen dafür und dem Trauma des einzigen Überlebenden setzt sich Neil LaButes „Zur Mittagsstunde“ auseinander.
 
John (Thomas Braus) hat, bis auf einen Streifschuß am Fuß äußerlich nahezu unverletzt, ein von einem Amokläufer angerichtetes Massaker in seinem Büro, bei dem 37 Menschen den Tod fanden, als einziger überlebt. Ein entlassener früherer Mitarbeiter der Firma hat zur Zeit der Mittagspause das Gebäude mit einem russischen Sturmgewehr AK 47, diversen Handfeuerwaffen und Messern das Gebäude gestürmt und ein Blutbad von unvorstellbarer Grausamkeit angerichtet. John, der gerade auf der Toilette war, wird Zeuge, will fliehen, sieht Tote und Sterbende auf dem Boden und wird, wie er zunächst erzählt, nur durch einen Querschläger verletzt und von der eintreffenden Polizei gerettet. Doch John hat Gottes Stimme gehört und sieht in seiner Rettung eine göttliche Fügung, die ihn zum messianischem Eiferer macht, der sich in der Pflicht sieht, sein und das Leben anderer umzukrempeln.Es wird ihm ebensowenig gelingen wie das eigene Leben.
 
Aber vieles von dem, was er von diesem einschneidenden Erlebnis erzählt, wird im Verlauf der zwischen Euphorie, Zweifeln und kalter Berechnung changierenden, quälenden Selbstbespiegelung und der Gespräche mit anderen zweifelhaft und brüchig. Dem Zuschauer werden Fragen nach der Haltung, nach Schuld und Anstand Johns auf dem Tablett serviert, vor allem: Warum hat er im Moment höchster Not mit seinem Smartphone das grausige Foto einer verstümmelten Kollegin gemacht, das den Täter im Hintergrund zeigt? Wieso hat sich der neue Gutmensch John von einem Anwalt (Stefan Walz, zu plakativ) dazu überreden lassen (oder mußte der ihn gar nicht überreden?) dieses Bild für Millionen an die Gazetten zu verkaufen? Das Versprechen, das Geld wohltätigen Zwecken zukommen zu lassen, bleibt Schimäre. John legt es in Grundbesitz an, um damit zunächst seine geschiedene Frau, dann seine Ex-Geliebte (Philippine Pachl, souverän, aber auch in den anderen Frauenrollen etwas zu schrill inszeniert) wieder an sich zu binden. Vergebens. Auch stellt sich später das Geschehen recht anders heraus, als eingangs geschildert.


Thomas Braus, Philippine Pachl - Foto © Uwe Schinkel
 
Thomas Braus, dem solche Grenzgänge mit Ausbrüchen besonders liegen, gibt den Selbstgerechten, den Euphoriker, den Zerrissenen á la bonheur. Wie er zum oft hektischen Redefluß Mimik und Körper einsetzt, ist das Plus, das ihn als Schauspieler schon immer auszeichnet. Die erste Beschreibung des blutigen Tatgeschehens muß für Psychologen ein besonderes Schmankerl sein. Umgeben von verführerisch glitzernden Lamé-Vorhängen und seinen äußerlich ebenso glitzernden Begleiterinnen wird die Irrealität der Situation dieser zerfetzten Seele besonders deutlich (Bühne & Kostüme: Carolin Mittler). Das Dröhnen im Kopf wird durch die Musik-Gestaltung Katrin Vellraths eindrucksvoll illustriert.
Nach dem Wegziehen der beiden funkelnden Show-Vorhänge wird das Publikum vor einer notabene hintergründig angebrachten Spiegelfläche in die Rolle des TV-Voyeurs gezwungen, sieht sich als Zuschauer der Zurschaustellung der Toten und des überlebenden Opfers, so wie es das Sensationsfernsehen seit Jahren zunehmend zelebriert. Der frühere zynische Presse-Grundsatz „Bad news are good news“ wird Tag für Tag, mehr und mehr pervertiert: „Blood sells“. Schirin Khodadadians Inszenierung (von Godot war noch ein wenig Wasser übrig) kann zwar durch Thomas Braus bestehen, wirkt alles in allem aber deutlich zu aufgesetzt. Der Versuch, Neil LaBute noch einen draufzusetzen, muß zwangsläufig mißlingen.
 
Nächste Vorstellung: 12. Mai 2018, 19.30 Uhr
 
Weitere Informationen: www.schauspiel-wuppertal.de/