Durch eine andere Linse

„Through a different lens: Stanley Kubrick Photographs“

von Johannes Vesper

Durch eine andere Linse:
Stanley Kubricks Fotografien
 
Von Johannes Vesper
 
Die Familie stammt aus Galizien. Sein Vater war Chirurg. Er spielte mit seinem Sohn Schach und schenkte ihm zum 13. Geburtstag eine Graflex-Kamera. Stanley Kubrick, als Schüler nur mäßig erfolgreich, begann schon früh für die Schulzeitung zu fotografieren und verkaufte mit 17 Jahren sein erstes Foto: das Bild eines Kioskverkäufers mit Zeitungen, die den Tod des amerikanischen Präsidenten Roosevelt meldeten. Seit 1945 fotografierte er für „Look“, die 1937 gegründete „Bildzeitung“ oder besser Fotoillustrierte, bevor er ab 1950 als Filmregisseur reüssierte. Daß seine Filme vor allem später ohne Happyend auskommen würden, ist den Fotografien (1945-50) des jungen autodidaktischen Fotografen nicht anzusehen. Zur Fotografie kam der spätere Regisseur von „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“, „Lolita“, „2001 - Odyssee im Weltraum“ u.a. sozusagen learning by doing. Eine systematische Ausbildung zum Fotografen erfolgte nicht. Seine Schnappschüsse von der Straße, aus dem Vergnügungspark, aus dem Wartezimmer seines Zahnarztes, Aufnahmen mit versteckter Kamera, aber durchaus auch inszenierte Bilder zeigen die New Yorker Gesellschaft, Arme wie Reiche, Arbeitslose wie Alkoholkranke, Boxer wie auch Verliebte lebendig, witzig und bieten einen Eindruck der Zeit unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges, als es Fernsehen noch nicht gab und alles Wichtige in Zeitungen verhandelt wurde. Dabei spielten Bildergeschichten mit vielen Bildern und wenig Text eine besondere Rolle. Erinnerungen an die Schule bietet die Fotonovelle über den Lehrer, der Hamlet spielt. Schon bei der ersten verkauften Fotografie bat er den Verkäufer im Kiosk um einen ernsten, der Meldung über den Tod des Präsidenten angemessenen Gesichtsausdruck. Hier stellt sich die Frage, wie inszenierte Fotos die abgebildete Wirklichkeit verändern. Vielleicht findet sich hier der erste Hinweis auf den später dann so genialen Filmregisseur.


Stanley Kubrick - Lovers


Stanley Kubrick - Betsy von Fürstenberg
 
Das Verhältnis des Betrachters zum Objekt ist oft unsicher: Wie der Affe sein Publikum im Zoo beobachtet bzw. wie er von den Menschen vor dem Gitter angeschaut wird , kann auf dem Foto vom 20. August 1946 studiert werden. Als Voyeur zeigt sich Kubrick mit Liebespaaren, die er nachts neben der Mülltonne, auf einer der für New York typischen Feuerleiter sich in den Armen liegend, im Kino und anderswo ablichtet. Er arbeitete für diese hinreißenden Hell-Dunkel-Stimmungen teilweise mit Infrarot-Fotografie. Die Geschichte der 18jährigen schönen Schauspielerin Betsy von Fürstenberg, der Debütantin, die sich ihre Karriere erarbeitete und ihre Rolle dem Produzenten auf seinem Schreibtisch sitzend näher bringt, sich zu Hause aber durchaus den Vergnügungen der High-Society hingibt, ist in hinreißenden Fotos dokumentiert. Look reflektierte in einer der Bildgeschichten auch das Hundeleben der großen Stadt (A dog`s life in the big city), was bei 291.018 von der Steuer erfaßten Hunden in New York die Leserschaft wirklich interessierte. Preiswürdige Afghanen im Cabrio, Untersuchung eines ängstlichen Hundes beim Tierarzt, schöne Dalmatiner und Pudel bei der Fellpflege durch die attraktive Besitzerin: damit wurde das New Yorker Publikum in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts unterhalten, dessen männlicher Teil sich natürlich auch angesichts langer Frauenbeine im Nachtclub amüsierte. Herrlich der kopfstehende Zirkus-Elefant oder der rittlings auf einem Stuhl in der 5th Avenue sitzende George Grosz, den man für einen Manager halten will, den man jedenfalls mit seinen entsetzlichen Bildern aus dem 1. Weltkrieg jedenfalls nicht in Verbindung bringt.
 

  Stanley Kubrick - Montgomery Clift

Wie die des Fotografen stammt Leonard Bernsteins jüdische Familie aus der Ukraine. Er begründete seine Dirigenten-Karriere, als er 1943 in New York kurzfristig für Bruno Walter bei den New Yorker Philharmonikern einspringen mußte. 1950, als seine Bildergeschichte bei Look erschien, stand er vor den Sinfonieorchestern von New York, Boston, Philadelphia, St. Cäcilia Rom und vor dem neuen Israel Philharmonic Orchestra. Zusammen mit musikalischen Freunden wie Aaron Copland, Serge Koussevitzky, Peter Pears oder auch der Komödiantin Betty Comden charakterisierte Stanley Kubrick den erfolgreichen Star.
 
Es gibt viel zu sehen in diesem an besonderen Fotos eines besonderen Fotografen so reichen Band. Stanley Kubricks Fotos wurden 1956 dem Museum of the City of New York übergeben, in dem ab 3.5.2018 eine Ausstellung seiner frühen Fotografien eröffnet wird, wozu dieser herrliche Fotoband erscheint.
 
„Through a different lens: Stanley Kubrick Photographs“
mit Essays von Donald Albrecht (Architektur- und Designkurator, Museum of the City of New York), Sean Corocoran (Grafik- und Fotokurator, Museum of the City of New York ) und Luc Sante (Fotokritiker)
© 2018 Verlag Benedik Taschen / Museum of the City of New York, 328 Seiten, ca. 300 Schwarz/Weiß-Fotos. ISBN 978-3-8365-7232-3, ,
50,- €
Weitere Informationen: www.taschen.com

Redaktion: Frank Becker