Hysteriker und Helden

Yasmina Rezas Gesellschaftskömödie "Der Gott des Gemetzels" in einer punktgenauen Inszenierung von Hanfried Schüttler

von Frank Becker
Zewa, wisch und weg!

Hanfried Schüttler inszeniert Yasmina Rezas dramatische
Gesellschaftskomödie "Gott des Gemetzels"
in der Nähe von Edward Albee

 
("Le dieu de carnage" aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel)

Premiere im Schauspielhaus Wuppertal am 12.4.2008
Inszenierung: Hanfried Schüttler -  Ausstattung: Thomas Lorenz-Herting - Dramaturgie: Alexandra Jacob -  Fotos: Michael Hörnschemeyer
Besetzung: Véronique Houillé: An Kuohn - Michel Houillé: Andreas Möckel - Annette Reille: Julia Wolff - Alain Reille: Andreas Ramstein

Hysteriker und Helden

Das Programmblatt der Wuppertaler Bühnen hat die ideale Illustration des Stoffs in einer „Vater und

Andreas Möckel - An Kuohn
Sohn“ -Bildergeschichte von Erich Ohser (E.O. Plauen) gefunden: zwei Knaben prügeln sich, heulen den Vätern was vor, die treffen sich zu einem Gespräch und – während die Lümmel sich längst wieder einig sind und Murmeln spielen – hauen sich die stolzen Väter nun ihrerseits in der „Verteidigung ihrer Ehre“. Ein wohl immer wiederkehrender Vorgang. Überall. Die französische Erfolgsautorin Yasmina Reza hat das Thema zeitgemäß auf- und ausgebaut: diesmal mischen auch die Mütter mit. Und das in recht dominanter Stellung - ja im Grunde übernehmen sie die Position, die früher einmal den Vätern vorbehalten war. Die Männer werden mehr oder weniger zu Puffern zwischen den Frauen-Fronten, hin und wieder als Stichwort-Geber oder Bollwerk vorgeschoben. Im Grunde aber interessiert es sie einen Scheißdreck. Sie haben sich doch als Jungs auch geprügelt und schwärmen unisono von ihren "Banden" zur Kinderzeit. 


Julia Wolff - Andreas Ramstein
Was ist geschehen? Die Söhne haben sich auf dem Schulhof in die Wolle gekriegt, der eine hat dem anderen mit einem Knüppel zwei Zähne ausgeschlagen. Schlimme Sache. Aber man ist ja kultiviert, lebt in einem Frankreich mit dem Kodex der westlichen Welt und kommt auf dem Boden der Versicherungsverhandlung zusammen. Doch der Zuschauer als gesellschaftlicher Voyeur spürt es gleich: es vibriert förmlich, die Luft flirrt vor unterdrückter Aggressivität und falscher Höflichkeit, von der scheinbaren Gastfreundlichkeit hier bis zur vorgeblichen Bewunderung des Wohn-Stils dort. Das Ambiente auf der Bühne: arrangiert gestylt, der Wohnraum der Houillés, dezentes Statement bürgerlicher Arriviertheit. Ein weiter Raum, der einerseits Distanz und andererseits ausgreifende Schritte ermöglicht.
    
Vorgeführt und preisgegeben

Zwei Ehepaare mit schnell aufbrechender oberflächlicher Einigkeit treffen aufeinander. Nach kurzem, vorsichtigem Abschätzen quellen Unzufriedenheit, Unsicherheit, Streitlust, ja offene Feindseligkeit aus den seelischen Wunden hervor, die sie schon lange mit sich schleppen. Alle Fehler, Mängel,

Möckel - Ramstein - Wolff
Schwächen der vier brillant von Yasmina Reza gezeichneten und vom Ensemble perfekt umgesetzten Charaktere werden schonungslos offenbart, vorgeführt und einer bösen Lächerlichkeit preisgegeben. Und doch zeigt die Autorin Mitleid mit der Rodentiaphobie des relativ gefühllos erscheinenden Michel (brillant im Understatement: Andreas Möckel), dem kaschierten Minderwertigkeitskomplex und dem Alkoholproblem Véroniques (erschreckend glaubhaft: An Kuohn), der Telephonabhängigkeit des gewissenlosen Workaholic Alain (mühelos überzeugend: Andreas Ramstein) und der zum Schutz aufgebauten Überheblichkeit der gleichermaßen wütenden wie zerbrechlichen Annette (ergreifend: Julia Wolff).

Gratwanderung zwischen Tragödie und Farce

Das kann natürlich nur mit hervorragenden Darstellern in der gefühlvollen Inszenierung eines mit „Fingerspitzen“ begabten Regisseurs gelingen. So geschehen und erlebt im Wuppertaler Schauspiel. Hanfried Schüttler hat das derzeit von ca. 60 Bühnen gespielte Stück, das weniger Komödie als Drama ist, mit rauschendem Erfolg in Angriff genommen. Ihm und den vier intensiv geforderten Charakterdarstellern gelingt die subtile Gratwanderung zwischen Tragödie und Farce. Ein gewisser Einfluß von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe?“ kann nicht übersehen werden, was kein Makel ist – im Gegenteil, die Nähe zu dem Klassiker adelt die Inszenierung.


Möckel - Wolff - Kuohn

Irgendwann läßt jeder die Maske fallen: die facettenreiche Überheblichkeit Annettes hält dem Druck nicht stand, ihr Faß läuft über, als ihr Mann sie abqualifiziert und schließlich die hysterische Véronique ihre heilige Handtasche im Raum umstülpt, ein Vorgang, der an Vergewaltigung grenzt. Umgestülpt wird auch das nonchalante Ego Alains, als seine nervtötende Mobiltelefoniererei mit der Versenkung seines tragbaren Kleinfernsprechers in der Tulpenvase endet. Hier übrigens explodiert auch die Teilnahme des atemlosen Publikums in einem kollektiven Heiterkeitsausbruch, als er klagend ausruft: "Ich hab Jahre gebraucht, um es zu konfigurieren!". Und ein weiteres Mal durch den Kommentar Annettes: „Männer hängen dermaßen an ihrem Zubehör“ (wobei hier die weiblichen Lacher überwogen). Es sind die Attentate auf "wichtige" Dinge, die Wahrheiten lostreten. Véronique hingegen bricht sukzessive zusammen: Mißachtung ihre Raumarrangements, Verschieben ihres plakativ dekorierten Kunstbuch-Stapels, schließlich Verunreinigung desselben durch Annettes Vomieren und Gewalt gegen ihr Tulpen-Arrangement. Zewa hilft, doch die seelischen Spuren bleiben. Am besten hält sich noch Michel. Doch die Anklage des Hamster-Mordes läßt auch seine Dämme brechen – er offenbart sich als legitimer Erbe W.C. Fields´. Möckel zementiert mit seiner subtilen Darstellung ohne den geringsten Hauch von Künstlichkeit fast dämonisch seinen hohen Rang als Charakterdarsteller.

Kein Alkohol ist auch keine Lösung

Yasmina Rezas Raffinement liegt in der ständigen Verschiebung der Konstellationen, Parteinahmen

Ramstein - Wolff - Möckel - Kuohn
und Loyalitäten. Aus dem Zerbrechen ehelich fixierter Parteien entstehen neue und ambivalente kameradschaftliche oder geschlechtsspezifische Fronten. Beim Rum verbrüdern sich die Kerle als große Jungs, und beim Rum verschwistern sich die „Damen“ als männerverachtende Weiber. Alkohol ist zwar keine Lösung, aber um mit Sissi Perlinger zu sprechen: "Kein Alkohol ist auch keine Lösung." Das amüsiert, offenbart bekannte und vertraute gesellschaftliche und partnerschaftliche Mechanismen, das erschreckt und beruhigt zugleich. Alle sind wie du, du bist wie alle. Yasmina Reza ist mal wieder ein Streich gelungen. Dem Ensemble um Hanfried Schüttler ebenso. Minutenlange Ovationen lohnten bei der Wuppertaler Premiere den Einsatz. Empfehlenswert.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen unter: www.wuppertaler-buehnen.de