Eßkultur und Fischbeobachter

Aus dem Zettelkasten

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Aus meinem Zettelkasten
 
Eßkultur: Natürlich kann man auch eine Suppe mit einer Gabel essen, wenn man viel Zeit hat und nicht so hungrig ist.
 
Fahrradfahrer: Ich habe für Fahrradfahrer mehr Verständnis, wenn sie den Berg hinauf fahren müssen.
 
Fahrradschaufensterdekorationen: Fahrradschaufenster sind leicht zu dekorieren. Stell `n Fahrrad rein, ist es dekoriert. Schwieriger sind Brillenschaufenster zu handhaben. Da brauchst du erstmal einen Tisch und da liegen die Brillen dann drauf rum. Wäre das Schaufenster eine Lupe, wäre das eine auffällige Lösung, aber wer macht sich schon so eine Mühe. Ich sah mal ein Brillenschaufenster, da hatte der Optiker die Idee, durch bunte Weinflaschen und Weingläser die Brillen aufzuwerten, nur dachten dann die meisten Zuschauer, es würde sich bei seinem Brillenladen um eine Weinhandlung handeln. Wie leicht hat es da der Fahrradhändler. Der sieht sein leeres Schaufenster, holt ein Fahrrad, stellt es rein. Alles ist optimal gestaltet. Ach, sagt er, vielleicht hänge ich noch einen Fahrradhelm ans Lenkrad.  
Natürlich kann man nicht Fahrräder besser verkaufen, nur weil ein Fahrradschaufenster leichter zu dekorieren ist als der Rest der Welt.
 
Filmszene, verworfene:  (Für Willi Hagemeier) Drei Männer sitzen auf einer Parkbank. Alle tragen die gleiche Kleidung. Sehen so Drillinge aus? Der Mann in der Mitte versucht zu telefonieren. Die anderen gehen mit ihm einen Entschuldigungstext durch. „Ich bin ein Schuft, verzeih. Es tut mir leid. Ich hätte dir die Wahrheit sagen müssen.“ Der Mann in der Mitte spricht den Text vor sich hin, aber schüttelt dabei den Kopf. Er bekommt keinen Anschluß.
 
Fischbeobachter, Der: Herr Hering bekam einen Anruf mitten in der Nacht. „Hier ist Herr Hering“, sagte er gähnend. „Was kann ich für sie tun?“ „Hallo“, sagte eine Frauenstimme. „Sie sind doch Fischbeobachter, oder? Mein Goldfisch ist krank.“ Herr Hering sprang aus dem Bett. „Einen Moment“, sagte er. „Ich bin so gut wie unterwegs.“ Herr Hering war Fischbeobachter. Er konnte erkennen, warum Fische krank waren. Er fuhr sofort mit seinem Fischobil, ein Auto, welches aussah wie ein Fisch, nur halt mit Rädern dran, zu dem kranken Goldfisch. Er setzte sich vor das Aquarium und beobachtete den Fisch. Tatsächlich, der Fisch schwamm gar nicht. Seine Farbe war blaß und manchmal hing er an der Aquariumsscheibe, als würde er seufzen. „Klarer Fall“, sagte der Fischbeobachter. Die Frau atmete auf. „Was ist so klar an dem Fall?“, fragte sie. Herr Hering zeigte auf das Aquarium. „Das Glas ist zu klein“, sagte der Fischbeobachter. „Der Goldfisch braucht mehr Platz.“ Die Frau nickte. Herr Hering hatte Recht. Das Glas war zu klein und sie hatte es so mit Wasserpflanzen und Steinen gefüllt, daß der Fisch gar keinen Platz mehr zum Schwimmen hatte. „ Und“, fuhr der Fischbeobachter fort, „er braucht einen Spielgefährten. Der Fisch ist einsam. Ihm ist langweilig.“ Die Frau nickte. So sollte es sein. Schnell kaufte sie ein großes Aquarium und holte aus dem Zoofachgeschäft einen zweiten Goldfisch. Von da an ging es dem kleinen Goldfisch besser. Er schwamm in seinem Glas herum und spielte den ganzen Tag mit dem anderen Goldfisch. Die Frau rief sofort den Fischbeobachter an. „Danke Herr Fischbeobachter“, sagte sie. „Nicht dafür“, sagte Herr Hering und legte sich wieder in sein Bett.
 
© Erwin Grosche
 
Das „Weltlexikon“, das sich aus Erwin Grosches Zettelkasten speist, wird im Oktober im Bonifatius Verlag erscheinen.