Millais Bein und Michelangelos Hand

Alan Bennett – „Geht ins Museum“

von Frank Becker

Millais Bein und
Michelangelos Hand

…sowie ein gestriegeltes Pferd
 
Wer in den Stiftungsrat der National Gallery berufen wird, wie Alan Bennett im Jahr 1993, kann so unbedarft im Umgang mit Kunst nicht sein, wenn er es wie Bennett auch kokettierend noch so vorgibt. Alan Bennett liebt die Kunst und kennt sie sehr genau. Soviel wird bei der Lektüre seines köstlichen Buches „Geht ins Museum“ deutlich. Mit seinen Bildbetrachtungen und -beschreibungen, vornehmlich der englischen, italienischen und holländischen Malerei öffnet Bennet dem Kunst-Laien und weniger informierten Leser mit viel Witz und durchaus mit Chuzpe gegenüber der etablierten Kunstkritik substanziell und eloquent die Augen.
Ein vor allem wegen seiner nationalen Bindung auch für Nicht-Engländer besonders interessanter Aspekt ist dabei der Blick auf englische Maler, deren Ruhm zum Teil nicht wesentlich über den Kanal gedungen ist: John Everett Millais, Stanley Spencer, Atkinson Grimshaw, Walter Sickert, Spencer Frederick Gore, John Sell Cotman, Simon Palmer, William Holman Hunt, George Stubbs, Thomas Jones – Daß er das Gemälde „Mauer in Neapel“ des letzeren ebenso zu seinen erklärten Lieblingsbildern zählt wie Stubbs´ rätselhaftes „Hambletonian, Rubbing Down“ und Stanley Spencers „Southwold“, kann man unbedingt verstehen und anhand seiner Beschreibung leicht nachvollziehen.
 
Ohne devote Bewunderung und ohne falsche Scheu, jedoch mit Respekt vor der wahren Kunst gibt Alan Bennet seinen Gedanken bei der Bildbetrachtung die Freiheit, die man nur von einem wirklichen Kenner erwarten kann - und vermittelt dabei manch eine überraschende Einsicht. Große, international renommierte Namen wie die von Thomas Gainsborough, Pablo Veronese, Giovanni Bellini, Michelangelo Caravaggio, Piero della Francesca, Tizian Vecellio, Rembrandt van Rijn, Michelangelo Buonarotti, Lucas Cranach, Jan Vermeer, Hans Holbein oder David Hockney entgehen seiner exzellenten Bilderstürmerei nicht – kein Mythos, der ihn hindern würde, wie ein normaler Mensch darüber zu sprechen.
 
Im übrigen erzählt Alan Bennett Anekdoten und Begebnisse aus seinem eigenen bewegten Leben, gibt Tagebuchnotizen und Impressionen aus dem Kulturleben preis, reflektiert über die Zeitläufe und plaudert über seine Begegnungen mit Altertums-Touristen, Schriftstellern, Theater-Autoren, Schauspielern, Musikern und Künstlern jeglicher Couleur. Mit Alan Bennetts humorvollen Kunstbetrachtungen im Gepäck werden die Welt der Malerei und der Museen fortan sicher etwas anders betreten, unverkrampfter in jedem Fall. Ebenso gerne wie auf die Bilder richtet er aber auch den Blick auf die Museumsbesucher, die sich für alles zu interessieren scheinen, nur nicht für die Kunst. In seiner Leidenschaft für Bilder und die Hingabe für sie und ihre Postkarten ist Alan Bennett ein Bruder des Schriftstellers Michael Zeller, dessen Kunstpostkarten-Betrachtungen Sie in diesem Jahr Sonntag für Sonntag in den Musenblättern lesen können (und sollten!). Bennett gebührt dafür, wie Zeller, unsere Anerkennung, der Musenkuß.
 
Alan Bennett – „Geht ins Museum“
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
© 2017Wagenbach Verlag SALTO, 144 Seiten, 11 x 21 cm, gebunden Ganzleinen mit Fadenheftung, mit Deckelschildchen und Prägung. Mit vielen Abbildungen -  ISBN 978-3-8031-1326-9
18,– €
Weitere Informationen:  www.wagenbach.de