Eine Lektion in drei Teilen

Neil Simons „Der letzte der feurigen Liebhaber“ mit Witz und Biß in der „Komödie Wuppertal“

von Frank Becker

Anja Barth, Gregor von Holdt - Foto: Komödie

Eine Lektion in drei Teilen
 
Neil Simons „Der letzte der feurigen Liebhaber“
mit Witz und Biß in der „Komödie Wuppertal“
 
Regie: Elif Veyisoglu – Bühne und Kostüme: Cordula Polster – Aufführungstechnik: Martin Jansen, Marc Spiecker
Mit: Gregor von Holdt (Barney Silberman) – Anja Barth (Elaine Navazio, Bobbi Michele, Jeannette Fisher)
 
Die Sexuelle Revolution ist Geschichte
 
Seit Neil Simons turbulente Charakterkomödie „Last of the Red Hot Lovers“ 1969, also vor einem knappen halben Jahrhundert auf dem Höhepunkt der Sexuellen Revolution uraufgeführt wurde, ist ihr intelligenter Witz ungebrochen. Deshalb zählt das Stück dauerhaft bis heute unter dem Titel „Der letzte der feurigen Liebhaber“ zu den auch in Deutschland meistaufgeführten Boulevardstücken. Allerdings hat sich die Basis des Plots seither grundlegend geändert. Wo es einst darum ging, Barney Silberman, einen reifenden, eher zurückhaltenden und gehemmten Herrn, Besitzer eines Fischrestaurants, bei seinem Versuch zu begleiten, an Sexueller Revolution und freier Liebe teilzunehmen, bevor der Vorhang fällt, ist dieses Motiv längst Schnee von gestern. Die Zeit der sexuellen Freiheit und freien Liebe von damals ist Geschichte. Jetzt geht es unserem 23 Jahre treu verheirateten Helden darum, nur ein einziges Mal aus der Solidität seiner funktionierenden Ehe auszubrechen, um die verbotene Frucht zu kosten, zu sehen und zu fühlen, wie es jenseits des Zaunes aussieht.
 
Die Endsumme meines Lebens ist „nett“
 
Barney (Gregor von Holdt) nutzt also den Umstand, daß er zwei Stunden in der Woche heimlich die Wohnung seiner Mutter als Absteige benutzen kann – und lädt (zunächst nur) eine vielversprechende Dame, na ja, zu einem Schäferstündchen ein. Elaine Navazio, eine forsche, rothaarige, erotisch glühende, in mancher Hinsicht qualmende Asthmatikerin und einem guten Schluck nicht abgeneigte Nymphomanin (Anja Barth, Freunde des Wuppertaler Schauspiels kennen sie u.a. aus → „Torquato Tasso“, „Viel Lärm um nichts“, „Diener zweier Herren“, aus „My Fair Lady“, „Die Wupper“, „Für mich soll´s rote Rosen regnen“, „Der nackte Wahnsinn“ oder „Die Ratten“ u.a.m. als großes Talent) macht den Anfang – und überrumpelt den unerfahrenen Verführer mit aggressiver Erotik. Wo andere zugegriffen hätten flüchtet sich Barney – wie es Elaine zynisch-ironisch formuliert – über das Vehikel seiner Restaurant-Speisekarte in eine „Dichterlesung mit Fischpoesie“. Es passiert: Nichts - aber wir erleben eine knallharte verbale Abrechnung zwischen einem gehemmten, unerfahrenen Mann mit zarter Seele und Liebesdefizit und einer vom Leben gebeutelten sexhungrigen Frau, die aus Enttäuschung erotische Fluchtwege sucht. Neil Simon und die beiden Schauspieler liefern mit Temperament und überzeugenden Schauspiel den bei aller Situationskomik ernsten, hervorragenden Einstieg in die Geschichte.
 
Kunstvoll überdreht
 
Zweiter Versuch: Barney hat aus der ersten Erfahrung gelernt, ist lockerer geworden und hat irgendwo die quirlige Bobbi Michele (Anja Barth) kennengelernt, eine treudoofe, völlig überdrehte und gleichermaßen erfolglose Jung-Schauspielerin, deren Rollen eher im Off-Off-Broadway und in zweifelhaften „Film“-Produktionen zu vermuten sind. Gregor von Holdt und Anja Barth zeigen hier, daß sie die ganze Klaviatur der Komödie aus dem ff beherrschen. Es kommt, wie es kommen muß: Barney hat mal wieder aufs falsche Pferd gesetzt, denn die von Anja Barth hinreißend gegebene Bobbi macht ihm schnell klar, daß er genau der Typ ist, dem sie vertraut, weil sie weiß, daß er nie versuchen würde sie zu verführen. Es passiert: Nichts – aber immerhin lernt Barney zu kiffen.


Anja Barth, Gregor von Holdt - Foto: Komödie

Love is in the air…
 
Weil die beste Freundin seiner Frau ihn neulich in ihrer eigenen Küche dermaßen angegraben hat („Ich hatte hinterher sogar Mayonnaise-Flecken auf dem Rücken meines Hemdes.“), daß er sich eine echte Chance auf den erträumten Seitensprung ausrechnet, bereitet Barnay schon mal das Bett mit Rosenblättern und stellt den Champagner kalt. Als Jeanette Fisher (Anja Barth) dann das Liebesnest betritt, sehen Barney und wir eine aggressiv gehemmte (so hätte das Hanns Dieter Hüsch ausgedrückt), tief depressive liebesunfähige Moralistin vor uns. Erneut ziehen wir den Hut vor der Wandlungsfähigkeit beider Schauspieler, die nun alle Register des Dramas ziehen. Gregor von Holdt bei Barneys Versuch, die Situation doch noch zum erträumten Sex umzudrehen, Anja Barth bei Jeanettes verkrampften Abwehr eben dessen. Es kommt bei diesem Seelen-Striptease, wie es kommen muß – es passiert: Nichts. Und doch: Barney hat seine Lektion verstanden und greift zum Telefon…
 
Regisseur Elif Veyisoglu hat für die „Komödie Wuppertal“ am Karlsplatz Neil Simons Stück mit eleganter Hand, dem sicheren Gefühl für das Gleichgewicht von Witz und Drama, Intelligenz und Situationskomik, Mono- und Dialog – und vor allem mit zwei hervorragenden Künstlern höchst amüsant und unterhaltsam in Szene gesetzt. Reicher Applaus lohnte die Leistung. Meine Empfehlung: Sichern Sie sich Karten für eine der bis zum 28.6. angebotenen Aufführungen. Es lohnt. Und lassen Sie sich nicht von der geschmacklosen Reklamekarte des Theaters abschrecken. Die konterkariert den tatsächlichen Wert der Aufführung.
 
Weitere Informationen: www.komoedie-wuppertal.de