„Woodlands and Beyond...“

Hélène Grimaud beim Klavier-Festival Ruhr in Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Peter Wieler

„Woodlands and Beyond...“
Waldlandschaften, Wasser und Ewigkeit
 
Hélène Grimaud beim Klavier-Festival Ruhr in Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Dieses Ereignis wurde schon 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie, später auch in Paris aufgeführt, wurde als CD bereits 2016 mitgeschnitten, wird im August auf dem Gstaad Menuhin Festival zu sehen sein und war jetzt beim Klavier-Festival Ruhr im Großen Saal der Historischen Stadthalle auf dem Johannisberg in Wuppertal zu erleben.
 
Vor einem riesigen TV-Bildschirm mit großen Waldbäumen in beeindruckender Projektion stand der aufgeklappte Steinway D Konzertflügel. Das Licht im Saal wurde gedimmt und erlosch, bevor Hélène Grimaud auf der Bühne erschien und Luciano Berios (1925-2003) eingängige 6 Encores pour piano (Wasserklavier, Erdenklavier, Luftklavier, Feuerklavier und zuletzt von 1989 Brin und Leaf) das „Wasserklavier“ spielte.
Händels „Wassermusik“ war vor ca. 300 Jahren für eine Bootsfahrt von Georg I. auf der Themse komponiert worden, und das Orchester spielte neben des Königs Barke in Booten sitzend. Eine solche Inszenierung war zum kurzen Klavierstück von Berio in der Stadthalle natürlich nicht darstellbar. Bei „Encores“ handelt es sich eigentlich um im Programm nicht angegebene Musikstücke, also um eine Zugaben. Ungewöhnlich, damit einen Klavierabend zu beginnen. Aber ungewöhnlich ist dieses Konzertformat allemal, wenn zu den auf dem Programm angegebenen Klavierstücken Fotos auf riesiger LED-Leinwand hinter dem Flügel aufleuchten und der die Musik genießende Zuhörer, wenn er die Augen nicht davor verschließt, zum Bildkonsumenten mutiert.

Prächtige Fotos wurden ineinander überblendet, und bald schien abendliches Sonnenlicht in das wie von Monet gemalte  ruhige, farbige Meer. Beim elektronischen Zwischenspiel von Nitin Sawney (*1964) wechselte das Bild von der Vogelperspektive eines Flusses in südlicher Landschaft zu einen sonnendurchfluteten Laubwald hinter dem scherenschnittartig erscheinendem Flügel und der Künstlerin. Töru Takemutsus (1930-1996) „Rain Tree Sketch II“ passierte musikalisch das Programm, ohne daß die Nähe dieses japanischen Komponisten zu Chanson, Jazz und Filmmusik bemerkt wurde. Nach erneuter elektronischer Pausenmusik sah man Schiffe auf nebligem Meer, während die technisch höchst anspruchsvolle Barcarole von Gabriel Fauré inzwischen durch eine Kathedrale von Hochwald brauste. Zu „Jeux d èau“ von Maurice Ravel – Wassermusik, inspiriert von Tropfen in der Sonne, vom Geräusch eines fließenden Baches - zu dieser impressionistischen Musik ohne erkennbare musikalische Entwicklung, erschienen wüste Wellen auf dem Bildschirm. Immer wieder erklangen zwischen den einzelnen pianistischen Programmpunkten die elektronischen Transitionen von Nitin Sawhney, an Muzak erinnernd, wie sie im Kaufhaus ständig tönt. Zu karger, ockerfarbiger Wüste, später zu Sanddünen mit Meeresbucht erscheint „Almeria“ von Issac Albeniz (1860-1909) mit strukturierter Rhythmik und gewaltigen pianistischen Ausbrüchen ohne Pendant.
Warum bei den virtuosen Wasserspielen à la Villa d Este von Franz List (1811-1886) Hochwald hinter dem Flügel zu sehen war? Da assoziierte der Zuhörer bei dem Andante aus „Nebel“ von Leo Janacek (1854-1928) schon eher den Wolf im nebligen, bzw. schnee- und oder reifbedeckten Wald mit der Stimmung des depressiven Komponisten, der 1912 davon überzeugt war, „daß niemals jemand von seinen Kompositionen Notiz nehmen würde“.

Zuletzt dann, nach zu früh einsetzender letzter Transition, Claude Debussys „La Cathédrale engloutie“. Der Legende nach führte der Pakt der Königstochter aus der vorzeitlichen bretonischen Stadt Ys mit dem Teufel zum Untergang. Der Zuhörer wäre in der reinen, wunderbaren Klaviermusik jedenfalls versunken wie die liederliche Blondine mit langem Haar damals im Meer. Musikalisch hat Debussy in diesem Prélude die Kathedrale und deren Glocken (Sekunde mit anschließender Quinte) der Stadt vor der Katastrophe assoziiert. Warum auch hier wieder Wald hinter dem Flügel erscheint, erschließt sich dem Freund der Klaviermusik nicht unmittelbar.
Den Stimmungen wie auch der musikalisch-pianistischen Eleganz der Musik konnte der Zuhörer beim souveränen Spiel Hélènes nachspüren, wenn er nicht von den grandiosen und brillanten Fotos ihres Lebenspartners (Mat Hennek) abgelenkt wurde, die in der FAZ, der SZ bei Vogue und im Zeit Magazin schon erschienen sind. Berühmt sind seine Künstlerporträts, und sein Brot verdient er mit Werbefotografien für Rolex, Lufthansa, Volkswagen u.a.. Der Wolf durfte auf diesen Bildern bei dem bekannten Engagement der großen Pianistin für Natur, Umwelt und Wölfe natürlich nicht fehlen. Wer sich für diese Seite der Pianistin interessiert, mag ihre autobiographische „Wolfssonate“ lesen. Die Natur sei ein Beleg für Spiritualität, meinte die Pianistin, und die Musik diene als Brücke dahin. So begründet die Pianistin ihr Konzertdesign. Bekannterweise liegt die Würze in der Kürze. So endete dieses „Event“ nach gut einer Stunde mit starkem Applaus, ohne Zugabe, mit Blumen vom Sponsor für die Pianistin, und die Besucher enteilten in den frühen, lauen Sommerabend.