Die Hölle

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Die Hölle
 
Kürzlich traf ich einen Bekannten in der Hölle, der ist auf dem Weg zur Beichte verunglückt. Ist das nicht Pech? Das ist die Hölle. Er sagte, ist aber gar nicht so schlecht hier, man darf sich nur nicht dran gewöhnen. Er sagte, es gibt hier halt nicht so große Wunder, sondern eher so kleine Wunder, so kleine Wunder wie: Wasser wird zu Tee. Ich fragte: Und wo ist der Haken bei der Sache? Er ist Kaffeetrinker. Das ist die Hölle. Da habe ich zu ihm gesagt, weißt du eigentlich, was die Hölle ist? Meine Ohren von hinten beleuchtet. Die rote Socke in einer Waschmaschine für Weißwäsche. Das ist die Hölle. Ein sattes Kind zu füttern oder leise streiten müssen, weil sonst die Kinder wach werden. Ein Freibad, aber ohne Toiletten. Das ist die Hölle. Doktor Staub, der immer »Hölle, Hölle, Hölle« sagt, wenn er meine Wohnung betritt. Süße Hunde, die beißen. Alte Hochzeitsfotos, wo ein Hochzeitspartner ausgeschnitten wurde. Einem Freund bei einem Umzug helfen zu müssen, der als Hobby Waschmaschinen sammelt. Grillen mit Vegetariern oder Senioren auf E-Bikes. Das ist die Hölle. Da rennt man den ganzen Tag durch die Stadt, weil man einen wunderschönen Anzug sucht, und dann findet man endlich einen wunderschönen Anzug, und dann hängt der im Schaufenster einer Reinigung. Die Hölle. Schlafen dürfen in einem warmen Schlafsaal, aber unter einem Eiswürfelmobile. Das ist die Hölle. ›Don’t cry for me, Argentina‹ gespielt auf einer Panflöte und sich das anhören müssen im Wartezimmer eines depressiven Zahnarztes. Treu sein können, aber keinen Partner haben, dem man das beweisen kann. Der Anruf von Lydia nach unserer ersten gemeinsamen Liebesnacht, wo sie auf meinen Anrufbeantworter sprach: „Nachdem du gegangen bist, wurd` es doch noch ganz schön.“ Das ist die Hölle.
 
 
 
© Erwin Grosche
 
Das „Weltlexikon“, das sich aus Erwin Grosches Zettelkasten speist, wird im Oktober im Bonifatius Verlag erscheinen.