Theater mit Chuzpe

Marcus Lobbes inszeniert Peter Turrinis „Alpenglühen“

von Frank Becker

Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

Theater mit Chuzpe
 
Marcus Lobbe inszeniert Peter Turrinis „Alpenglühen“
 
Inszenierung und Fassung: Marcus Lobbes – Bühne: Marcus Lobbes/Pia Maria Mackert – Kostüme: Pia Maria MackertDramaturgie: Barbara NothRegieassistenz: Barbara Büchmann
Besetzung: Stefan Walz (Der Blinde) – Philippine Pachl (Jasmine) – Martin Petschan (Der Junge) – Peter Wallgram (Ein Tiroler Bergführer) – Regieanweisungen im Video (Miko Greza, Alexander Peiler, Julia Reznik, Konstantin Rickert, Lena Vogt, Julia Wolff)
 
Theaterdämmerung

Wenn Sie einmal als Zuschauer im Theater anderthalb Stunden lang – notabene: das Stück dauert ein wenig länger - verladen, auf die Schippe genommen, vorgeführt werden wollen, empfehle ich Ihnen die letzte Inszenierung der ausklingenden Spielzeit des Wuppertaler Theaters am Engelsgarten. Marcus Lobbes hat sich mit, nun ja, einer gewissen Eigenwilligkeit Peter Turrini vorgenommen, als sei der nicht schon abgedreht und skurril genug und versucht, auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen. Lobbes läßt wirklich nicht aus, sein Publikum gnadenlos und fluchtverhindernd (es gibt in besagten 1½ Stunden keine Pause) mit endlosen verlesenen Regieanweisungen zu quälen und damit den erheblich gekürzten Original-Text wieder wie eine Hefeteig anschwellen zu lassen. Zäh wie ein solcher gestaltet sich nämlich der im wesentlichen erzählte, weniger gespielte Ablauf. Der Theaterkritiker Curt Riess (1902-1993) der einst eines seiner Bücher „Theaterdämmerung oder das Klo auf der Bühne“ (Hoffmann und Campe 1970)  und ein weiteres „Theater gegen das Publikum“ (1985 Verlag Albert Langen) übertitelt hat, hätte sein „Vergnügen“ daran gehabt.
 
Ein Verwirrspiel

Turrini hat ein mit „Alpenglühen“ Verwirrspiel geschrieben, in dem ein blinder Mann (Stefan Walz, durch eine eng abschließende dunkle Brille tatsächlich ohne jede Sicht), der seit Jahrzehnten in den Bergen lebt und für Touristen Naturgeräusche imitiert,auf eine Frau trifft (Philippine Pachl), um deren Gesellschaft er den Blindenverein gebeten hat, um nach langer Einsamkeit ein weibliches Wesen für interessante Konversationen „und vielleicht ein wenig körperlichen Kontakt“ zu haben. In der Imagination des Blinden ist „Jasmine“ eine wohlgestaltete, sehr junge Frau, realiter eine wenig attraktive 50erin. Es entspinnt sich ein Dialog, der beide zu Bekenntnissen veranlaßt und die jeweilig vorgegebenen Biographien eins ums andere Mal ad absurdum führt. Weiter tritt als allgegenwärtige Marginalie ein junger Bursche auf (Martin Petschan), dessen Kulissentätigkeit ebenso sinnfrei wirkt wie die des Tiroler Bergführers (Peter Wallgram) den Marcus Lobbes ganz offenbar bewußt (kann man hoffen) so platt und billig inszeniert, daß er wie aus einer wirklich schlechten Tiroler Urlaubsbroschüre wirkt. Diese geradezu peinliche Figur bekommt die Aufgabe, das Publikum zum Mitsingen des Kärntnerliedes „In die Berg bin i gern“ und zum Applaudieren zu animieren. „Bierkönig“ im Gebirge.


v.l.: Philippine Pachl, Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

20 Minuten, die alles rausreißen.

Zurück aber zu unserem merkwürdigen Paar. Die beiden Protagonisten bieten handfestes Theater, von Marcus Lobbes zu Höchstleistungen in Drama und Groteske geführt. Philippine Pachl zeigt sich ungemein wandlungsfähig, wenn sie jedes Mal aufs neue glaubhaft als Hure, Sekretärin oder Unschuld vom Lande einherkommt, Stefan Walz ist zunächst aus der Mitte des Theatersaals von akustischer, dann auf der Bühne von enormer physischer Präsenz. Ein Vergnügen, den beiden zuzusehen, selbst wenn man sich ansonsten (s.o.) verladen, auf die Schippe genommen, vorgeführt fühlt.
Dann aber ein meisterlicher Schnitt: Das Publikum wird aus dem Saal geführt und erlebt auf dem Theaterinnenhof zunächst die vermeintliche Auflösung um die mögliche frühere Beziehung der beiden, dann eine Wendung um 180 Grad zu einem deutlichen Aha! (Theater auf dem Theater). Es folgt ein derart gelungener burlesker Schluß unter Verwendung der auch für die beiden Hauptfiguren des „Alpenglühens“ schicksalhaften Balkonszene aus „Romeo und Julia“ und mit einem waghalsogen Abgang, daß man am Ende dem Regisseur den vorherigen Unfug nicht mehr ankreiden mag. 20 Minuten, die alles rausreißen.
 
Das Stück wird nach der Spielzeitpause wieder aufgenommen.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de