Turin und das Piemont 2

Reise-Empfehlungen für eine beschenkte Region

von Frank Becker

Schloß Costigliole d´Asti - Foto © Frank Becker
Turin und das Piemont

Appetitlich geht´s weiter...

Savigliano

Das 20.000-Einwohner-Städtchen Savigliano (1187 waren es weniger als 1.000) in der Provinz Cuneo hat zwar kein Savoyer-Schloß, doch seine geschichtliche Bedeutung ist deshalb nicht geringer. Auch hier logierten die herzoglichen und königlichen Savoyer, doch als Gäste in den bürgerlichen Palazzi der wohlhabenden Stadt, deren Platz und Torbogen der Via Beggiami aus dem 12. Jahrhundert stammen, der Stadtturm aus dem 13. Jahrhundert, die Ziegelstein-Glockentürme aus dem 15. Jahrhundert und der Triumphbogen von 1585. Sie zeugen von Macht, Wohlstand und Selbstbewußtsein. Arkadengänge rund um die Piazza del popolo erinnern an Turins weitläufige Arkaden, und in der Tat stand Savigliano Anfang des 16. Jahrhunderts in Konkurrenz mit Turin um den Rang der Hauptstadt. Nun, Turin gewann, und Savigliano fiel über lange Zeit in einen Dornröschenschlaf. Zwar ist die einstige Pracht ein wenig angegriffen, doch Savigliano ist dabei, den einstigen Reichtum sichtbar zu machen. So sind die berühmten Fresken aus dem Jahr 1620 im Palazzo Tartini, der einer Bankiers-Familie gehörte, erhalten und zu besichtigen und wird der Palazzo Cravetta mit seinem Theaterhof, den verwitterten Büsten und seinen prächtigen Fresken um 1600 derzeit wieder vollständig hergestellt. In diesem Haus, das einer Anwaltsfamilie gehörte, starb 1630 Carlo Emmanuele I. (eines natürlichen Todes).

Wer den Abend mit einem Dinner im Restaurant „El Brandé“ und seiner sensationellen Küche in der Via Saluzzo 101 beschließt, ist bei allen landestypischen Gerichten, vor allem gegrilltem Fisch und Fleisch auf der absolut sicheren Seite - und der Arneis, der dort gut gekühlt serviert wird, ist ein Göttertropfen. Hier ist aber auch ein Warnung für Reisende angebracht, die Wert auf ihre Ruhe und eine gepflegte Umgebung legen: nur wirklich anspruchslose oder restlos verzweifelte Besucher werden im Hotel Gran Baita absteigen!


Savigliano, Palazzo Cravetta - Foto © Frank Becker

Raschera-Risotto im „La Borsarella“ und Buchweizen-Polenta im „Albergo Alpi“
 
Nun möge niemand glauben, daß diese Fülle pflanzlicher Erzeugnisse, so reichhaltig und üppig sie auch sei, alles ist, was das Piemont hervor bringt. Sicher: ohne die endlosen Reisfelder westlich von Mailand zwischen Novara und Vercelli, die bis zum Horizont reichenden Maisplantagen, nur durchschnitten von steinigen Flußbetten und die Felder mit Buchweizen ist der Grundstock für einige der landestypischen Speisen nicht denkbar. Das unvergleichliche Risotto mit Raschera, einem deftigen Käse aus den Piemonteser Bergen und Kastanien, das im Restaurant „La Borsarella“ in Mondovi serviert wird, ist aus ebendiesem Reis zubereitet und führt zu Ausrufen des Entzückens. Die Buchweizen-Polenta mit Porree oder Pilzragout welche die Principessa im „Albergo Alpi“ in Pamparato mit umfangreichen Oberarmen und warmem Lächeln austeilt, ist mit dem begleitenden Rotwein „Dolcetto“ eine schier überirdische Speise.


Rare Käsesorten aus der Region - Foto © Frank Becker

Nur 480 Einwohner hat das Dorf, in 850 m Höhe eingezwängt zwischen mächtigen Bergen, doch eine Spezialitätenküche und eine Fülle hervorragender Käse, die von „Tuma `dla Paya“ über „Sola-Sora“ bis „Testun“ von Occelli in Val Casotto jeden Geschmack befriedigen. Jeder Laib duftet und schmeckt anders, denn er ist von der gemischten Tagesproduktion an Milch von Kuh/Schaf/Ziege abhängig. Nur sieben Berggemeinden produzieren den köstlichen Raschera, der bei Kennern in aller Welt begehrt ist.

Dolcetto, Barolo, Ormeasco & Co.
 
Die Schnecken, geräucherten Bergforellen, Fasanenterrinen und durch die Trüffel der Bergregion veredelten feinen Speisen müssen sich bei aller Köstlichkeit vor den archaischen Genüssen verneigen, die aus dem Gourmet einen hemmungslosen Gourmand machen können. Wo feine Weine nur genippt werden, schlürft der Genießer in kräftigen Zügen den handfesten  Dolcetteo, den roten Barbaresco, Nebiolo oder Barolo, wie ihn Pierfranco und Maria Teresa Blengini auf Gut „Monsignore“ anbauen, zu einer würzigen Salami und frischem hellem Brot. Das sind Genüsse der „Campagna vera“, des unverfälschten Landlebens in bester Luft. Eine Besonderheit ist der „Ormeasco“, ein süffiger weißer Wein, unter Weglassen der Schale aus roten Trauben gewonnen. Das ist Nektar, Göttertrank, ein rarer Tropfen, dessen überzeugender Sprache man zum Essen und danach gerne ausgiebig lauscht.


Weinanbau - Foto © Frank Becker

Die Slow-Food-Bewegung
 
Italien und besonders das Piemont haben sich in jüngerer Zeit kulinarisch bewußt wieder alten Traditionen zugewandt und in Abkehr von pappigen Buletten-Brötchen nach dem Manifest von Carlo Petrini die Bewegung des „Slow-Food“ entwickelt. Nimm Dir Zeit - beim Kochen wie beim Essen - ist die Devise, die vor allem im traditionsreichen Westalpenbogen immer mehr Anhänger findet. So geht die Kunst des Kochens nicht verloren, die eine „Bagna cauda“, eine Sauce aus Knoblauch, Öl, Sahne und Anchovis hervorbringt, das Wissen, daß Polenta langsam gerührt werden muß, wird in diesem beschenkten Landstrich bewahrt, wo Gerichte Namen wie „Dju puurun bagnà nt`löly“ (zwei Paprika in Öl getunkt) haben. Wer das „Bollito“, gekochtes Rindfleisch mit einer speziellen Sauce „Bagnet“ aus Carrù probiert und von gebackenen Sambucano-Lamm-Keulen aus Vinadio und dazu die Weine der Region gekostet hat, wird nie mehr die faden Erzeugnisse irgendwelcher Fast-Food-Ketten oder Panschereien mit der gruseligen Aufschrift „Wein aus EG-Ländern“ anrühren.
 
Köstlichkeiten aus Maronen
 
Eine andere Spezialität hat sich aus dem natürlichen Bewuchs weiter Landstriche mit Eßkastanien, namentlich im Bereich der Provinzhauptstadt Cuneo, entwickelt. Die Piemonteser Maronen werden wegen ihres köstlichen Geschmacks über Italiens Grenzen hinaus geschätzt, besonders die Garronen, die beste Art, deren weitläufige Wälder das Pesio-Tal reich machen. Man bekommt sie geröstet, gekocht als aromatische und sehr gehaltvolle Polenta sowie in verschwenderischer und kreativer Reichhaltigkeit als Süßspeisen: Kuchen, Pralinen (Hhmmm!) und Pudding, für den der Küchenchef des „Delle Alpi“ in Frabosa Sottana in den Adelsstand erhoben werden müßte.


Cuneo, Delikates aus der Kastanie vom „Delle Alpi“ in Frabosa Sottana - Foto © Frank Becker

Der göttliche Lardo
 
Krönender Abschluß einer Entdeckungsfahrt durch das kulinarische Piemont sollte ein Besuch des bereits wegen seiner Garronen erwähnten Pesio-Tals mit der Kartause von Santa Maria sein. Dort werden im Herzen des Naturparks zwischen den schneebedeckten Gipfeln des Brüzeis (Bartivolera) mit 2200 m Höhe und des Marguareis (2651 m) in der heimeligen Berghütte „Pian delle Gorre“ – bei Sonnenschein im Freien – hausgemachte Gerichte geboten, die vielleicht ja durch ihre Nähe „nach oben“ geradezu himmlische Gaumenfreuden bereiten. Rauchfleisch vom Lamm, Salami und geräucherter Schinken bereiten die Zunge auf den „Lardo“ vor, einen fetten Speck mit Meersalz, Wachholder, Rosmarin, Pfeffer und heimischen Kräutern, der zu knusprigem Brot nicht mehr und nicht weniger als die Bezeichnung „göttlich“ beanspruchen kann. Die mit Kräutern in Öl eingelegten Anchovis stehen dem nicht nach, und die Polenta mit frischer Hausbutter und Bergkäse zum würzigen Wildschweingulasch läßt nur noch glückliche Seufzer zu. Daß dazu der Dolcetto aus groben Gläsern und durchaus auch mit frischem Bergwasser verdünnt schmeckt, muß wohl kaum noch erwähnt werden.


Pesio-Tal, Kartause von Santa Maria-  Foto © Frank Becker


Pian delle Gorre, Lardo Dolcetto Sardellen - Foto © Frank Becker

Am Schluß kann man gerade noch den mit Nüssen und Kakao gefüllten Pfirsich vernaschen, bevor man ungern den Heimweg antritt, noch das Wort Paracelsus Dreschers im Ohr: „Man soll nie mehr essen und trinken, als mit aller Gewalt hineingeht“ - und mit dem Gedanken an eine neue Bundweite…
 
© Frank Becker
 
Lesen Sie morgen hier den letzten und Teil 3 dieser Piemont/Turin-Reportage