Was war an Max Beerbohm „unvergleichlich”?

Eine Würdigung

von Joachim Klinger

© 1975 Manesse Verlag
„Der unvergleichliche Max”
und
„Der Geist der Karikatur”
 
G.B. Shaw nannte Max Beerbohm den „unvergleichlichen Max”, als er ihn 1898 als seinen Nachfolger für den Bereich Theaterkritik bei der „Saturday Review” vorstellte. Was war an Max Beerbohm (geb. 1872, gestorben 1956) „unvergleichlich”?
Die Frage kann nur beantworten, wer Max Beerbohm kennt. Bei vielen Engländern ist Max Beerbohm auch heute noch ein „Begriff”, eine legendäre Gestalt aus der Welt der Kunst und der Litertur. Obwohl von einem Vater abstammend, der aus Memel kommend sich in London 1833 niedergelassen hatte und dort zweimal mit Engländerinnen die Ehe einging (Max war das jüngste der fünf Kinder aus zweiter Ehe) ließ er kaum Spuren der Beerbohmschen Herkunft erkennen, sondern entwickelte sich zu einem Engländer „vom Scheitel bis zur Sohle.” Viele Zeitgenossen sahen in ihm einen „typisch englischen Gentleman”.
 
Das allein hätte G. B. Shaw natürlich nicht bewegen können, ihn „unvergleichlich” zu nennen. Aber Erscheinungsbild und Wesensart prägten doch einen bleibenden Eindruck von diesem hochbegabten Mann. Man kann ihn einen „Meister der Feder” nennen, und diese Meisterschaft bezog sich sowohl auf das Zeichnen, hier insbesondere die Kunst der Karikatur, als auch auf das Schreiben, das Max Beerbohm in den Bereichen der Erzählung und des Essays entfaltete.
Die „Manesse Bibliothek der Weltliteratur” erwies Max Beerbohm 1975 die Ehre, einen Band mit Essays und Erzählungen zu veröffentlichen und begründete ihre Anerkennung des Unvergleichlichen mit einem schönen Nachwort von Fritz Güttinger (S. 461 – 481).
Der kleine handliche Band beginnt mit dem Aufsatz „Der Geist der Karikatur”, den vor allem der Kunstliebhaber mit Vergnügen lesen wird.
Seine Gedanken und Überlegungen präsentiert Max Beerbohm in diesem Werk aus dem Jahr 1901 in der hübschen Aufmachung eines Traumes. In diesem Traum, so legt der Autor dar, habe ihm ein ehrwürdiges Komitee ehrbarer Persönlichkeiten angetragen, in der „Akademie der nationalen
Karikatur” die einschlägige Professur anzutreten, und er habe sich dazu nach langem Zögern und unter großen Bedenken bereit gefunden.
Eine wunderbare Gelegenheit für Max Beerbohm, im Mantel einer „Antrittsvorlesung” seine Vorstellungen als ausgewiesenen Fachmann auszubreiten.

© 1958 Rupert Hart-Davis, London

© 1989 Haffmans
 
Nun muß man wissen, daß Max Beerbohm in seinen Arbeiten als Karikaturist nicht nur einen bemerkenswert einfachen Stil mit dekorativer Wirkung entwickelt hatte, sondern auch seine Aufgabe vorwiegend in der ironischen Darstellung bedeutender Persönichkeiten sah. Die unmittelbare Kommentierung politischer Ereignisse war nicht sein Anliegen als Karikaturist.
So ist für ihn die Karikatur „die Kunst, ohne Scheu und Schonung die körperlichen Eigenheiten eines Menschen zu übertreiben, aus bloßer Lust am Übertreiben” (S. 10 a.a.O.)
Und er fährt fort: „Die Karikatur fällt kein moralisches Urteil … Der Karikaturist mag für einen Menschen die tiefste Verehrung empfinden, er wird ihn deswegen kein bißchen weniger lächerlich darstellen als einen anderen, den er verachtet.” (S. 11 a.a.O.)
 
Dann ein Fazit: „Die vollkommene Karikatur ist keine bloße Augenblicksaufnahme. Sie ist das Ergebnis einer eingehenden Beschäftigung mit dem Gegenstand, der Inbegriff seines Äußeren, die endgültige Darstellung des für ihn kennzeichnenden Auftretens” (S. 16/17 a.a.O.).
 
Hier wird Max Beerbohms Überzeugung deutlich, daß der gute Karikaturist am Erscheinungsbild eines Menschen seinen Charakter ablesen könne. Er braucht keine psychologisierende Deutung. Ich kann dem nur mit Einschränkung zustimmen. Es gibt auch die Maske und die Verstellung, und wir alle haben bei manchen Menschen die schauspielerischen Talente, die täuschen und verbergen, kennenlernen müssen. Außerdem möchte man als Karikaturist bei dem einen oder anderen eine bestimmte Wesensart herausarbeiten, eine unangenehme Eigenschaft betonen, oder eine erkennbare Haltung im Blick auf ein bestimmtes Handeln übertreiben.

© 1957 Piper Verlag
Auch die „einfache Linie” muß nicht immer bei der Darstellung einer Persönlichkeit genügen (es sei denn, es geht nur um die rasche Erkennbarkeit). Dabei berufe ich mich auf die Zeugnisse im Werk von zwei genialen Karikaturisten, die viele Portraits geliefert haben: Tullio Pericoli und David Levine.
 
„Levines lustiges Literarium” hat John Updike vorgestellt (Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 1970). Er schreibt: „Sein Stil weist über Beerbohm hinaus auf die dreidimensionalen Grotesken Daumiers und Tenniels. Keine Mißmutfalte, keine selbstzufriedene Rundung der Physiognomie kann durch das geschmeidige Netz seines Federstrichs schlüpfen …” (S. 1 / 2 a.a.O.)
John Updike nennt Levine „weniger Beobachter denn Visionär … er entwickelt dabei ein Konzept, eine ungeheuer lebensechte Idee.” (S. 2 a.a.O.)
Übrigens sind in diesem reizenden Bändchen sowohl Sir Max Beerbohm als auch John Updike abgebildet –. Tullio Pericolis „Portraits” (erschienen bei Diogenes Zürich, 1992) hat Umberto Eco eingeleitet, und er schreibt: „Pericoli … portraitiert oft, wenn er ein Gesicht portraitiert, in Wirklichkeit einen Gedanken, eine Weltanschauung … „ (a.a.O. S. 2)
 
Wie auch immer, alle drei Künstler sind zu den großen Karikaturisten zu rechnen. Sie haben die Kunst bereichert.
 
© 2018 Joachim Klinger