Gestatten: Berlin

„Berlin – Die Schönheit des Alltäglichen“ Frank Peter Jäger (Hg.)

von Frank Becker

Titelfoto: Thilo Mokros
In dieser Stadt...
 
Berlin, wie es wirklich ist.
 
Schönheit‛ ist zunächst einmal abstrakt, ein relativer Begriff, der die Möglichkeit der ausgesprochen subjektiven Interpretation beinhaltet. Es ist wohl so, daß es sich mit der Schönheit einer Stadt ganz ähnlich verhält wie mit der Schönheit eines Menschen – sie liegt immer im Auge des Betrachters. Dabei spielt natürlich auch die Liebe eine wichtige Rolle, Liebe, wie man sie auch zu Städten, Orten und Landschaften empfinden kann, wenn sie Teil des eigenen Bewußtseins sind oder geworden sind.

Kürzlich habe ich Ihnen an dieser Stelle einen etwas anderen Berlin-Reisführer vorgestellt, dessen Fokus sich auf vieles richtete, das in landläufigen Stadtführern wenig bis keine Beachtung findet. Hier war das Ziel, „hippe“ Orte zu finden, die auf eigene Art originell sind, abseits vom Tourismus-Einerlei.
„Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen“ hatte ich diesen Text mit dankbarer Erinnerung an die große Hildegard Knef überschrieben, denn das echte Berlin kann man besser als mit diesem Lied-Titel nicht charakterisieren. Das trifft noch weit mehr auf ein Buch zu, das ich Ihnen heute präsentieren darf, das den wirklichen Puls Berlins fühlt, so nah wie schon lange keines mehr, und ich ergänze mit Hildegard Knef und Charly Niessen: In dieser Stadt kenn' ich mich aus, / in dieser Stadt war ich mal zuhaus; / wie sieht die Stadt wohl heute aus – / vin dieser Stadt war ich mal zuhaus. Ein Buch, das diese einzigartige Stadt zeigt, wie sie der Berliner täglich auf dem Pflaster unter seine Füße nimmt und vor seinen Augen hat. Der Stadtplaner und Journalist Frank Peter Jäger hat eigene Fotografien und Texte und Beiträge von neun Kollegen und Kolleginnen (darunter sogar ein paar echte Berliner) zum Schönen und zum schön Häßlichen Berlins zu dem faszinierenden Band „Berlin – Die Schönheit des Alltäglichen“ zusammengestellt, dem er den staubtrockenen Untertitel „Urbane Textur einer Großstadt“ beigegeben hat. Diesen Untertitel, der wohl dem auch wissenschaftlichen Anspruch des Projekts geschuldet ist, wollen wir aber mal ganz schnell wieder vergessen. Denn die Lektüre zeigt zu erfreulich großen Teilen den eher feuilletonistischen Charakter der Aufsätze.
 
„Berlin – die Schönheit des Alltäglichen ist ein Stadtführer der anderen Art: Er führt nicht zu den bekannten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, sondern lenkt den Blick auf die Alltagsästhetik der Stadtlandschaft, auf die Details der von Zeit und Geschichte geprägten Bauten und Materialien – die Gestaltungsphasen der U-Bahn-Interieurs, die strenge Klarheit der Berliner Straßen und das Mietshaus als kleinste Einheit des Urbanen, dessen scheinbar uniformer Typus sich aus der Nähe als erstaunlich vielseitig erweist. Die Beiträge des Buches widmen sich diesen Alltagsarchitekturen, die letztlich die Identität und das Gesicht der Stadt prägen und die es zu bewahren gilt. Zahlreiche Fotografien entführen in die Bilderwelt Berlins und ermuntern dazu, das Phänomen des städtischen Raums und seiner Zeitschichten auf eigene Faust zu erkunden.“ – Soweit der Klappentext des Verlages, der recht genau umreißt, worum es geht. Für den Berliner aber – und ich hoffe, daß ganz viele Berliner wie ich dieses Buch in die Hand nehmen, ist es beinahe ein in den Tarnmantel einer wissenschaftlichen Schrift gehülltes Poesiealbum, eine Liebeserklärung in sieben Kapiteln und etlichen Unterabschnitten mit zahllosen eingeklebten Glanzbildchen vom Kleinen, das in seiner Gesamtheit die große Stadt ausmacht.


©  Heimatmuseum Neukölln, Bildarchiv, Nachlaß Elsa Thiemann
 
Die wunderbare Stadt Berlin stellt sich nicht zuletzt durch die exzellente Bebilderung in diesem Buch (herausragend die Fotos von Thilo Mokros), in dem man sich genüßlich verlieren kann, ganz ungeschminkt vor. Fassaden aller erhalten gebliebenen Bau-Epochen, Straßenzüge, U-Bahn-Stationen, ihre Gestalung und Namen, Laternen, Plumpen, Straßen- und Trottoir-Pflasterungen, Türen, Treppen, Höfe und Balkone, Pavillons, Kunst am Bau und im öffentlichen Raum - „Berlin – Die Schönheit des Alltäglichen“ ist ein Buch, aus dem die Liebe zu einer Stadt spricht. Es hat meine volle Sympathie. Da versteht es sich, daß es unser Prädikat bekommt, den Musenkuß.
 
„Berlin – Die Schönheit des Alltäglichen“ Frank Peter Jäger (Hg.)
Urbane Textur einer Großstadt 
© 2017/18 jovis Verlag, 192 Seiten, 17 x 24 cm gebunden, zahlreiche farbige und s/w Abbildungen - ISBN 978-3-86859-380-8
28,-€


Berliner Gardinengaststätte, eindeutig vom Aussterben bedroht.
Bier und Hackepeterbrötchen sind günstig, und bekannte Gesichter dürfen anschreiben lassen.
Foto © Thilo Mokros, VG Bild-Kunst, Bonn

Weitere Informationen:  www.jovis.de