Die Farbe Weiß
Einführung zur Ausstellung „Weiß“
im Von der Heydt-Museum
November 2002
Von Sabine Fehlemann
Weiß, ein allgemeines Thema, das von der ersten Kirschblüte bis ins Kosmische hinein durchleuchtet werden könnte, Weiß, als Thema der Malerei, erstreckt sich vom unbearbeiteten Fleck auf der Leinwand bis zur philosophischen Haltung in der Gegenwartskunst. Hier nur einige Aspekte:
Die Bedeutung von Weiß kann nur die sein, die man ihr gibt. Die Rose ist ohne „Warum“, hatte Angelus Silesius (ein Dichter des 17. Jahrhundeıts) gesagt, so auch das Weiß.
Wir leben alle mit und in Weiß - einer eigentlich unnatürlichen Farbe – viel intensiver, als wir auf den ersten Blick meinen!
Ist nicht die lichteste Farbe, die der Unschuld und der Reinheit Weiß? Haben Sie eine weiße Weste? Haben Sie ein weißes Blatt oder sind Sie eines, das heißt ein noch unbeschriebenes? Oder haben Sie es schwarz auf weiß und können es getrost nach Hause tragen?
Wir zählen uns zur weißen Rasse. Aber ist das alles wirklich weiß, was wir da so bezeichnen? Die Berliner Weiße ist es doch ebenso wenig, wie auch das Weißbrot nicht. Sie könnten es noch weißer machen, mit Tünche.
Auch das Farblose wird oft fälschlicherweise weiß genannt, wie etwa beim Weißwein.
Die Albinos in der Natur- wie der weiße Rabe, das weiße Kamel – sind etwas ganz Seltenes, Verehrungswürdiges, Heiliges.
Die Gespenster tragen weiß, die Leichen und die Ärzte. Die weißen Jahrgänge sind die, die keine Wehrpflicht abzuleisten hatten. Warum Weißrußland so heißt, weiß ich nicht! Ein weißes Haus ist keine Seltenheit, aber Das Weiße Haus ist einmalig.
Weiße Rose, weißes Kreuz sind sinnbildlich. Schneewittchen ist ein doppelt weißes, ein weißer Schimmel sozusagen. Die weiße Blume, z.B. die Lilie, ist Beigabe für die Jungfrau Maria und Symbol ihrer Unschuld.
Da sage noch einer, es gebe nicht viel zu Weiß zu sagen. Weiß ist das All, Schwarz ist das Nichts.
Doch was ist weiß? - Das Gegenteil von farbig, von lebendig, von bunt und von schwarz! Aber farbenblind sein, heißt noch nicht, schwarz-weiß sehen. Weiß ist Schnee, weiß manchmal auch eine Wolke, weiß ist Tod, das hellste Hell des Lichtes, weiß ist Quark, ist Sahne (nicht Butter), ist Milch, auch die der frommen Denkungsart, ist Papier, sind Zähne, saubere Fingernägel; Tiere, die im Kalten leben, Eisbären oder Schneehühner, Weiß ist die Summe aller Farben, die im Prisma wieder heruntergebrochen werden können. Weiß ist Machtanspruch (im Hermelinmantel), ist auch Trauer. Weiß ist absolut, weiß ist Leere, weiß ist Schweigen.
Die weiße Ameise, der Weißkohl, die Weißwurst, die weißen Blutkörperchen, die weiße Bohne, die weißen Wände, das weiße Haar, der weiße Sonntag, das Weißgold, zeigen, wie vielseitig wir mit dieser Unfarbe umgehen!
Was ist das Schwarzbuch gegen das Weißbuch?
Wir lieben eher das Gelbe vom Ei, doch gibt es auch viel Weißes darin. Die Braut trägt meistens - auch zuweilen unzulässig - weiß, und es kann sich mancher bis zur Weißglut darüber ärgern.
„Weiß“ und „Schwarz“ sind beliebte Familiennamen. Fast jede Nationalfahne hat einen weißen Streifen, weiß neutralisiert. Blüten sind, merkwürdig genug, gern weiß. Doch Blütenweißes wird schnell dunkel. Weiß will schwarz werden, die weiße Weste hält meist auch nicht lange.
Die weiße Farbe war die verehrteste - der Kaiser von Rußland wurde bereits im 16. Jahrhundert der „weiße Zar“ genannt. Bei den Mongolen hatte weiß auch die Bedeutung von unabhängig, z.B. nicht tributpflichtig zu sein.
Goethe dichtete 1790 in den venezianischen Epigrammen: „Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar manches hat er euch weis gemacht, das ihr ein Säkulum glaubt.“ Er hat in seiner Farbenlehre das Weiß ausgeklammert, dafür den Begriff: Urphänomen geprägt. Urphänomene aber, so erklärte er, kann man nicht erklären, man kann nur auf sie zeigen oder von ihnen erzählen. Bei Adalbert Stifter ist Weiß die Farbe der gewesenen Unschuld und Peter Handke meint, Weiß als Farbe sei die Abwesenheit von Sinn (so Uwe Steiner in Artheon, vom September 1999).
Bei soviel Kriterien wundert es nicht, wenn auch die Kunst sich des „Weißen“ als Phänomen annimmt. Was das Auge sieht, das sieht es. Was es sieht, das macht es real.
Der Naseweis hat mehr drauf als vielleicht ein bisschen Puder auf der Nase.
Das Weiß übersetzt in die Gaunersprache ist „Blanc“, aus dem Französischen und heißt, daß, wenn ich z.B. „blank bin“ - kein Geld mehr habe - oder etwas blank-putze oder blanchiere. Aber das englische „White“ in Zusammenhang mit Weite zu bringen, geht zu „white“.
Nur im Italienischen und Französischen gibt es Weiß als Mädchennamen Bianca und Blanche. Im Lateinischen gibt es drei Bezeichnungen für weiß: 1. albus, 2. candidus = blendend weiß und 3. lacteus = milchweiß. Der weiß Gekleidete ist der Candidatus = der Kandidat, cand. phil. ist davon abgeleitet und der Kandiszucker. Wenn wir dem Weiß Charakter geben wollen, so ist weiß edel – eben edelweiß, „Gloria dei“ heißt eine weiße Rose, während Schwarz mit dunklen, undurchsichtigen Mächten - dem Bösen - verbunden wird, auch wenn es in Rußland im Sommer die „weißen Nächte“ gibt.
Wenn wir auch viel über Weiß sagen, können wir doch nicht Weissagen, das überlassen wir den Künstlern. Wenn Sie weiß sehen in diesen Bildern, brauchen Sie noch nicht an weiße Mäuse, d.h. Halluzinationen zu denken!
Weiß ist ein Thema, das sich auch durch unser ganzes Museum zieht. Weiß war meine erste Erwerbung für dieses Haus, „Il concetto spaziale“ von Lucio Fontana. Hier öffnet sich die weiße Leinwand durch einen Schnitt ins Dunkel. Weiß sind die Lichtkuben bei Schoonhoven, in denen sich der Schatten bricht. Weiß ist im Raum das Styropor-Objekt von Wolfgang Nestler, weiß das „Shaped Canvas“ von Ellsworth Kelly am oberen Treppenaufgang, nicht mehr ganz weiß auch das langgezogene Objekt Strecke aus Papiermaché von Andreas von Weizsäcker. Ganz abgesehen von den Carara-marmornen Büsten des 19. Jahrhunderts im 1.Obergeschoß, gibt es noch „Ruth in her Kitchen“ von George Segal in Gips und die Figur Schatten in Weiß von Lourdes Castro. Arps Skulpturen seien in dem Zusammenhang genannt, und Sie werden sicher noch weitere Verwandtschaften oder kontrastreiches Anderssein entdecken, wenn Sie durch unsere Sammlung gehen, z.B. bei Opalka und Raimund Girke, dem Maler der Spiritualität des Lichtes. Abraham David Christian hat diese Papierskulptur geschaffen und uns als Leihgabe für heute überbracht.
Das Weiß galt zuerst (in der Renaissance) noch nicht als Farbe. Erst im 19. Jahrhundert wurde es schrittweise in das Farbspektrum integriert (Turner und Monet setzten das Weiß zuerst als Farbe in ihren Bildern ein). Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die einstige Nichtfarbe zu einem zentralen Thema der avantgardistischen Malerei seit Malewitschs Weißem Quadrat, 1917/18). Kandinsky malte den Weißen Klang (1908).
Weiß - als Farbe mit bestimmter Wirkung - ist, wie das absolute Schweigen, nicht als totes Schweigen, sondern als Schweigen voller Möglichkeiten, gegenständlich unauslotbar. Robert Rauschenberg zeigte 1951 weiße Bilder als Monochromien, auch Barnett Newman und Sam
Francis malten weiße Bilder. Jasper Johns malt weiße Flaggen als Negation zu dem abstrakten Expressionismus.
Yves Klein entwarf den Weißen Raum. Bald darauf entstand Zero, auf Weiß. Weiß sagten sie, sei reine Energie, bleibend und verklärend. Piero Manzoni's Achroms sind weiß. Robert Ryman analysiert das Weiß systematisch. Aus Weiß entstehen alle Farben. Weiß ist die größtmögliche Reinheit der Malerei, ist Zugang zum Geistigen ohne störende semantische oder anekdotische, erzählerische Schlacken.
Die Documenta 6, 1977 widmete sich dem Thema. Bazon Brock referierte darüber, Weiß sei Ausstieg aus dem Bild, mit dem Kernargument, daß alle Dinge auf der Welt ihre eigene Bedeutung in ihrer Unterscheidbarkeit haben, daß die Kunstwerke die Balance, ein ausgeglichenes Maß zwischen Anfüllen von Gegenständen und der Notwendigkeit des Leerlassens halten, in der Dialektik von Addition und Reduktion, von Enthüllen und Verhüllen.
Der überbordenden Dekoration allerdings, dem Horror vacui, der Angst vor der nackten Wand in unserer heutigen, lauten Umwelt antwortet das Weiß, die Stille, das Unbearbeitete, das Infinito, die Monochromie in seiner subtilen Art des nicht mehr Unterscheidens: so wie bei Rymans Weiß auf Weiß-Bildern in Weiß vor weißer Wand, in weißem Licht, in einem white cube. Weiß als Endstufe ist nicht weiter differenzierbar, ist höchste Herausforderung.
Nicht im Versagen, sondern als Postulat der Ununterscheidbarkeit der Farbvaleurs, steht dieses Weiß als Verweigerung, die Entleerung als Reinigung auch in der Begriffswelt, bis hin zur Meditation, gegen Null hin orientiert als Notwendigkeit eines offen bleibenden Freiraums.
Farbig unterfüttertes Weiß präsentiert sich hier, bildet Distanzen von Weiß zu Weiß aus, mal als Farbnuancen, mal als Anschauungsdifferenz verschiedener Oberflächen und verschiedener Schattenstrukturen.
Vor Augen steht das Weiß als materialisierte Neutralität, die dazu auffordert, alles Assoziative auszuschalten. Weiß wird zur Königin der Farben.
Was sind und was sollen diese weißen Bilder? Sie haben, scheint es, wenig zu bieten. Kein Motiv, keine Anekdote, keine Gedächtnisstützen, keinen Appell, keinen Abendhimmel, kein Farbenspiel, sind nicht einmal, womit doch immerhin noch provinzieller Tachismus glänzen kann, irgendwie Aufzeichnungen von vorgeblich Psychischem. Sie vermitteln eben nur ästhetische Erfahrung und sind Basis für unerschöpfliche Phantasien, wie für die Komödie „Kunst“, in der es ebenfalls um ein weißes Bild geht, wie auch schon bei Christian Morgenstern:
Ein Anonymus aus Tibris
sendet Palman ein Exlibris
Auf demselben sieht man nichts,
als den weißen Schein des Lichts.
Nicht ein Strichlein ist vorhanden.
Palma fühlt sich warm verstanden.
Und sie klebt das Blättlein rein
allenthalben dankbar ein.
© 2002 Sabine Fehlemann
Redaktion: Frank Becker
Dr. Sabine Fehlemann (1941-2008)
war von 1985 bis 2006 Direktorin des Von der Heydt-Museums in Wuppertal.
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