Julian Barnes´ Roman atemberaubend vergegenwärtigt

„Vom Ende einer Geschichte“ von Ritesh Batra

von Renate Wagner

Vom Ende einer Geschichte
(The Sense of an Ending - GB 2017)

Regie: Ritesh Batra
Mit: Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Emily Mortimer u.a.
 
Die Vorlage dieses Films ist spürbar ein englischer Roman (alles ist so „very british“) mit klassischer Themenstellung – wie die Sünden der Jugend das weitere Leben der Beteiligten überschatten… Der indische Regisseur Ritesh Batra erzählt den Roman „The Sense of an Ending“ von Julian Barnes (2011, mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet) in einer Mischung von Gegenwart und dauernden Rückblenden.
 
In der Gegenwart steht ein alter Mann im Mittelpunkt: Jim Broadbent – die Kritik befand, er allein sei den Film wert, und das kann man gut und gern so sagen – spielt Tony Webster, der ziemlich einsam ist in seinem Leben und seinem Laden, in dem er mit kostbaren alten Kameras handelt. Er hat eine eloquent-coole Ex-Frau (Harriet Walter) und eine Tochter (Michelle Dockery), wie es heute nicht mehr unüblich ist: eine Lesbe, die nach künstlicher Befruchtung ein Kind erwartet. Wenn es am Ende des Films kommt, wird hier so etwas wie die Kontinuität des Lebens bewiesen.
Die Vergangenheit erreicht Tony in Form eines Dokuments – die verstorbene Sarah Ford (Emily Mortimer), die zu Lebzeiten vor Jahrzehnten ihre Blicke auf Tony, den Freund ihrer Tochter Veronica geworfen hat, vermacht ihm Dokumente. Auch wenn er sie nicht erhält, bringt es ihn zurück in die Vergangenheit – als er (sein jugendliches Ich: Billy Howle) und seine Freunde eine aufgeweckte Clique von 16jährigen waren, die gleicherweise die Unmöglichkeit diskutierten, zu gesichertem Geschichtswissen zu kommen (mit der alten Erkenntnis, Geschichte werde von den Siegern geschrieben), die das Problem der persönlichen Verantwortung ausloten wollten, wie auch (am Beispiel von Camus) Selbstmord als die einzig wahre Frage in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellten. Wie es bei klugen jungen Leuten schon ist, die sich über elementare Fragen des Lebens den Kopf zerbrechen. Fragen, die im Grunde ja auch in das Leben eingreifen (und in Romanen und Filmen eine dramaturgische Funktion haben).
 
Aber nebenbei gibt es das Auf und Ab der jugendlichen Gefühle. Tony, der später Margaret heiraten wird, liebt Veronica (Freya Mavor), auch wenn sie ein ziemlich eigenwilliges Geschöpf ist. Und als sie sich nicht für ihn, sondern für Adrian (Joe Alwyn) entscheidet, schreibt er diesen einen zerstörerischen Brief voll von Haß und Verleumdungen. Und dann bringt Adrian, der so klug über Selbstmord philosophiert hat, sich wirklich um…
Und nun ist da die alt gewordene Veronica (ein prachtvoller Kurzauftritt einer völlig versteinerten, zu keinerlei Milde bereiten Charlotte Rampling) und die Konfrontation mit seinem damaligen Brief, der ihn tief beschämt hinterläßt. Da ist das Rätsel eines behinderten jungen Mannes (wer ist er wohl?), und da sind fast komisch-turbulente Ereignisse um die Geburt des Enkels – und die Erkenntnis des alten Mannes, der sich bei seiner Exfrau entschuldigt, ein unsensibler, langweiliger und gewaltiger Kotzbrocken gewesen zu sein. Er habe, und das ist auch eine literarische Erkenntnis, die sich allerdings oft im Leben findet, sich meist davor gedrückt, verletzt zu werden, und hat das Überlebensfähigkeit genannt…
Im Grunde sind in diesem Melodram vor allem die Schulszenen interessant und lebendig (was ja auch die Aussage ist), jugendliches Aufbegehren, Rotzfrechheit, Überheblichkeit… all das, was dann im müden Alltag eines langen, ereignislosen Lebens verloren geht. Erkenntnisse, die von Broadbent und Rampling in der „alten“ Schiene der Geschichte über weite Strecken atemberaubend vergegenwärtigt werden.
 
 
Renate Wagner