Unvergessen

Rainer Moritz – „Mein Vater, die Dinge und der Tod“

von Frank Becker

Unvergessen
 
Rainer Moritz´ Reminiszenzen an Vati
 
 
„Ein Mensch lebt so lange, wie sich andere an ihn erinnern.“
 
Wenn einer den letzten Weg gegangen ist, lassen die Dinge, die von ihm geblieben sind, noch lange seine Gegenwart ahnen. Nimmt man sie in die Hand, läßt man nur lange genug den Blick darauf ruhen, sprechen diese Gegenstände, lassen Bilder der Vergangenheit, die man mit dem Gestorbenen verschwunden geglaubt hat, wieder auftauchen. Kurt Moritz, der Vater des Schriftstellers und Essayisten Rainer Moritz, ist 2015 nach einem erfüllten Leben im Alter von 89 Jahren gestorben.

Jetzt, drei Jahre danach, nimmt Rainer Moritz, der das Erinnern ganz wunderbar kultiviert, wir erinnern uns an „Ich Wirtschaftswunderkind“, neben vielen anderen Dingen der Wohnungseinrichtung das Schachbrett, den Sessel, die Brille, den Aschenbecher seines Vaters, die Lesekrippe neben seinem Platz, das talentiert selbstgemalte Bild „Pferde im Gewitter“, sein Rasierwasser und das Weinregal zum Anlaß, Erinnerungen und Geschichten an diese Dinge zu knüpfen, mit denen diese Sachen untrennbar verbunden sind. Es sind die Erinnerungen an die Abläufe des lieb gewordenen Alltäglichen, an die Gewohnheiten, Eigenarten, Abneigungen und Lebenseinstellungen des stolzen Mannes, der wie meiner „Vati“ genannt wurde. Sein „Old Spice“-Duft wird präsent, die Ernte 23, die er geraucht hat, die tägliche intensive Lektüre der„Heilbronner Stimme“, Adolf Gondrells Version von Thomas „Der Münchner im Himmel“, gemeinsam im Fernsehen geschaute Fußballspiele und Boxkämpfe.
 
Von Liebe ist wenig die Rede, und doch wird am Mit-Leiden des Sohnes angesichts des körperlichen Verfalls des Vaters und besonders an der Episode eines Beinahe-Bergunfalls in den Salzburger Ferien deutlich, daß das Bindeglied zwischen beiden das Band der Liebe ist.
Mit dem Porträt des Vaters zeichnet Rainer Moritz (Jahrgang 1958) zugleich auch ein Bild von dessen und seiner eigenen Zeit. Wer diese Zeit wie ich miterlebt hat, taucht bei der Lektüre mit wohligem Schauer wie in einem déja vu noch einmal tief in das bürgerliche Leben der Sechziger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit all ihren Zeiterscheinungen ein. Wir erleben noch einmal mit, wie er und wir vom Vater, von den Eltern und ihrer Erziehung, von Strenge und Güte geprägt worden sind.
Rainer Moritz spricht mit diesem anrührenden, sehr persönlichen Buch, das wohltut und am Leser rüttelt und das ich regelrecht verschlungen habe, sicher nicht nur mir aus der Seele. Denn die Frage, ob man seinem Vater näher gekommen wäre, wenn man mehr mit ihm gesprochen, mehr mit ihm geteilt hätte, treibt wohl fast jeden Sohn und sicher auch die Mehrzahl der Töchter um.
 
Rainer Moritz – „Mein Vater, die Dinge und der Tod“
© 2018 Verlag Antje Kunstmann, 192 Seiten, gebunden, Schutzumschlag -  ISBN: 978-3-95614-257-4
20,- €  
Weitere Informationen: www.kunstmann.de