Paula Modersohn-Becker - Zwischen Worpswede und Paris

Ein Gang durch die Ausstellung (7)

Red./Bec.

Selbstbildnis 1906
Paula Modersohn-Becker
Zwischen Worpswede und Paris
 
Von der Heydt-Museum Wuppertal
9. September 2018 – 6. Januar 2019
Ein Gang durch die Ausstellung (7)
 

Paula Modersohn-Becker und Bernhard Hoetger
 
Im April 1906 lernt sie den deutschen Bildhauer Bernhard Hoetger kennen. Er ist der erste Künstler, der die Qualität und Selbstständigkeit ihrer Malerei anerkennt und sie in ihrer künstlerischen Leistung bestärkt. Durch seinen Zuspruch überwindet Paula Modersohn-Becker ihre Selbstzweifel. „Sie haben die Tore geöffnet. … Ich fange jetzt auch an zu glauben, daß etwas aus mir wird“, schreibt sie an den Bildhauer.
Für den Nachruhm der Künstlerin spielt Bernhard Hoetger eine wichtige Rolle. Er selbst erwirbt zahlreiche Bilder aus ihrem Nachlass. Zudem macht er August von der Heydt mit ihrer Malerei bekannt. Von den 32 Gemälden Paula-Modersohn-Beckers, die in die Sammlung des Elberfelders Bankiers eingehen, befinden sich heute noch 16 im Bestand des Von der Heydt-Museums. Im Auftrag des Bremer Sammlers Ludwig Roselius baut Hoetger das Paula Modersohn-Becker Museum an der Böttcherstraße in Bremen.


Bernhard Hoetger, Elberfelder Torso - Foto © Frank Becker 

Die letzten Bilder
 
Mit Beginn ihres Aufenthalts 1906 in Paris erneuert sich die Freundschaft zwischen Paula Modersohn-Becker und Clara und Rainer Maria Rilke, der sie jetzt erst als Malerin zu schätzen beginnt. Im April 1906 sind Paula Modersohn-Becker und Rilke dabei, als Rodins „Denker“ vor dem Panthéon in Paris enthüllt wird. Auch Aristide Maillol ist anwesend, dessen Plastiken, fast ausschließlich weibliche Akte, sie sehr schätzt.
Zusammen mit dem Ehepaar Hoetger besucht Paula Modersohn-Becker im Sommer Henri Rousseau. Unter seinem Eindruck malt sie stilisierte Naturstücke. Mit neuer Farbigkeit und statuarischer Formauffassung wendet sie sich dem Figurenbild zu. Oft wählt sie sich selbst als Modell. Die Verbindung von Selbstbildnis und Aktdarstellung ist ungewöhnlich und neu. In zahlreichen Bildern beschäftigt sie sich mit dem Thema Mutter und Kind.
Den Winter 1906/07 verbringen Paula und Otto Modersohn gemeinsam und wiedervereint in Paris, und ihr Wunsch, schwanger zu werden, geht in Erfüllung. Am 2. November 1907 wird ihre Tochter Mathilde geboren, am 20. November stirbt Paula Modersohn-Becker in Folge einer Embolie.


Auguste Rodin, Der Denker - Foto © Frank Becker

Rainer Maria Rilke, Requiem (1908)
Für eine Freundin
 
Ich glaubte dich viel weiter. Mich verwirrts,
daß du gerade irrst und kommst, die mehr
verwandelt hat als irgend eine Frau.
Daß wir erschraken, da du starbst, nein, daß
dein starker Tod uns dunkel unterbrach,
das Bisdahin abreißend vom Seither:
das geht uns an; das einzuordnen wird

Paula Modersohn-Becker, Mutter mit Kind an der Brust, 1906 
Foto © Frank Becker
die Arbeit sein, die wir mit allem tun.
Und Früchte will ich kaufen, Früchte, drin
das Land noch einmal ist, bis an den Himmel.
Denn Das verstandest du: die vollen Früchte.
Die legtest du auf Schalen vor dich hin
und wogst mit Farben ihre Schwere auf.
Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun
und sahst die Kinder so, von innen her
getrieben in die Formen ihres Daseins.
Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht,
nahmst dich heraus aus deinen Kleidern, trugst
dich vor den Spiegel, ließest dich hinein
bis auf dein Schauen; das blieb groß davor
und sagte nicht: das bin ich; nein: dies ist.
So ohne Neugier war zuletzt dein Schaun
und so besitzlos, von so wahrer Armut,
daß es dich selbst nicht mehr begehrte: heilig.
 
Bist du noch da? In welcher Ecke bist du? –
Du hast so viel gewußt von alledem
und hast so viel gekonnt, da du so hingingst
für alles offen, wie ein Tag, der anbricht.
Die Frauen leiden: lieben heißt allein sein,
und Künstler ahnen manchmal in der Arbeit,
daß sie verwandeln müssen, wo sie lieben.
Beides begannst du; beides ist in Dem,
was jetzt ein Ruhm entstellt, der es dir fortnimmt.
Ach du warst weit von jedem Ruhm. Du warst
unscheinbar; hattest leise deine Schönheit
hineingenommen, wie man eine Fahne
einzieht am grauen Morgen eines Werktags,
und wolltest nichts, als eine lange Arbeit, –
die nicht getan ist: dennoch nicht getan.

 

 
Worpswede, das Grab von Paula Modersohn-Becker - Foto © Jürgen Kasten

Brieffragment, an Bernhard Hoetger, Sommer 1907:
„Ich möchte das Rauschende, Volle, Erregende der Farbe geben, das Mächtige.“
 
Redaktion: Frank Becker