Das Leid der britischen Bevölkerung im 2. Weltkrieg - überzuckert

„Deine Juliet“ - von Mike Newell

von Renate Wagner

Deine Juliet
(The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society - GB 2018)

Regie: Mike Newell
Mit: Lily James, Michiel Huisman, Matthew Goode, Jessica Brown Findlay, Tom Courtenay, Penelope Wilton, Katherine Parkinson u.a.
 
Filme sind immer auch Zeugen ihrer Zeit. Man fragt sich, warum die Briten derzeit so auffallend oft in ihre Vergangenheit zurückgehen, aber nicht nur zu Royals und Adel, sondern zu Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg – das war beim Churchill-Film „Die dunkelste Stunde“ so, „Dunkirk“ war eine britische Geschichte, die dann auch in „Ihre beste Stunde“ behandelt wurde. Kann eine Stärkung der britischen Identität auf der Leinwand mit dem Brexit zu tun haben, auch damit, an die Deutschen als Feinde von einst zu erinnern? Man würde es nicht für ausgeschlossen halten…
 
„Deine Juliet“ ist der simple und nicht sehr passende deutsche Titel für einen Film, der im Original dafür umso komplizierter daher kommt: „The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society“ spielt während des Krieges und danach (auf zwei Ebenen) in Gurnsey. Dazu muß man sagen, daß die Kanalinseln der einzige britische Boden war, den die Wehrmacht je besetzt hat – und wie sie im preußischen Stechschritt, zu flotter Marschmusik einmarschieren, während die Einheimischen so fassungslos wie erstarrt dastehen, ist ein überaus starker, erschreckender Moment.
An sich ist das Buch von Mary Ann Shaffer (nach ihrem frühen Tod vollendet von Annie Barrows, erschienen 2008) eine typische Briefroman-Geschichte, was bekanntlich so schwierig umzusetzen ist, daß man sich im Kino besser nicht darauf einläßt. Regisseur Mike Newell (der nie wieder auch nur annähernd einen solchen Erfolg hatte wie mit „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ im Jahr 1994) begnügt sich damit, die Ebenen gegeneinander zu schneiden und im übrigen keinem Schnulzeneffekt aus dem Weg zu gehen.
Jener Teil der Handlung, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, handelt von der jungen, ambitionierten, wenn auch noch nicht sehr erfolgreichen Schriftstellerin Juliet Ashton: Wieder Lily James, die derzeit in „Mamma Mia 2“ reüssiert, von Kenneth Branagh als „Cinderella“ ins Rampenlicht geholt wurde und im Churchill-Film „Die dunkelste Stunde“ eine so hinreißende Sekretärin abgab.
Sie hat in Sidney Stark (so very british Matthew Goode) einen liebevollen Agenten und Verleger, der ziemlich enttäuscht ist, daß sie den Heiratsantrag des amerikanischen Soldaten Mark Reynolds (Glen Powell) annimmt.
 
Aber Juliet kommt es nicht auf den protzigen Verlobungsring an, sie hat Ambitionen: Als sie von der „Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society“ erfährt (im Krieg mußte man die klassische „Pie“ aus Kartoffeln und Kartoffelschalen herstellen), ist sie von diesem seltsamen Konstrukt eines Literaturclubs der Dorfbewohner so fasziniert, daß sie sich auf Recherche dorthin begibt. (Wie es zu dem Club kam, das hat etwas von dem Charme scheinbar unschuldsvoller, aber zutiefst gerissener Dörfler…) Wie der alt gewordene Tom Courtenay (war er nicht u.a. unvergeßlich in „Doktor Schiwago“?) die junge Dame mit allen Anzeichen von Entzücken auf der Insel begrüßt, scheint es, daß sie einer wunderbaren Geschichte für die „Times“ auf die Spur ist – denn es fasziniert sie grenzenlos, was da in der Zeit der deutschen Besatzung geschehen ist.
Aber vor allem die Frauen des Dorfes mauern – und da weiß man schon, daß es etwas zu verbergen gibt. Die Älteren (Penelope Wilton) reagieren voll Schmerz, die Jüngeren (Katherine Parkinson) voll Verhaltenheit. Nach und nach schält sich die Zentralfigur der Vergangenheit hervor – Elizabeth McKenna (Jessica Brown Findlay), die couragierte junge Frau, die sich den Deutschen mutig entgegenstellte, sich dann doch in einen von ihnen verliebte, und letztlich in ein Lager verschwand, weil sie nicht, wie ihre Mitmenschen, „wegschauen“ konnte, wenn Böses passierte. Die absolut vorbildhafte Beispiel-Gestalt, die letztlich ihr Leben gibt.
Da ist nun ihre kleine Tochter, die von Dawsey Adams (Michiel Huisman, eines der „Game of Thrones“-Gesichter) liebevoll als die seine aufgezogen wird, da wird alles an einstigem Heldentum und aktuellen Gefühlen in den Topf geworfen, um (wie auch letztlich in der Geschichte „Der Buchladen der Florence Greene“, wo Literatur auch eine so große Rolle spielte) dann den üblichen betulichen Brei zu ergeben, dessen allzu triefendes Happyend man voraus sieht.
Sicher, der Zweite Weltkrieg war die heroische Zeit der britischen Bevölkerung, sie haben gelitten und durchgehalten und, wie man weiß, „gehabte Schmerzen, die hab’ ich gern“, wie es schon bei Wilhelm Busch heißt. Aber welchen Wert hat die Erinnerung, wenn man dann Zuckerguß darüber fließen läßt?
 
 
Renate Wagner