Henri-Edmond Cross. Peindre le bonheur
Musée des impressionismes Giverny, bis 4. November 2018
unter dem Titel
„Farbe und Licht. Der Neoimpressionist Henri-Edmond Cross“
anschließend vom 17. November 2018 bis 17. Februar 2019
im Museum Barberini Potsdam
Fallen Begriffe wie Neoimpressionismus, Pointillismus oder Divisionismus, drängen sich spontan die Namen Georges Seurat und Paul Signac auf. Vergessen wird nicht selten der dritte bedeutende Vertreter dieser Richtung, Henri-Edmond Cross (1856–1910). Ihm hat das Musée des impressionismes in Giverny, in unmittelbarer Nähe des einstigen Wohnhauses und Gartens von Claude Monet, eine chronologisch konzipierte Retrospektive mit dem Untertitel „Peindre le bonheur” (Das Glück malen) eingerichtet, die ab Mitte November auch im neuen Museum Barberini in Potsdam besichtigt werden kann.
Schon früh wurde das künstlerische Talent des jungen, 1856 im nordfranzösischen Douai geborenen Henri Edmond Joseph Delacroix erkennbar, der sich, um Verwechslungen mit dem Maler der romantischen Schule Eugène Delacroix zu vermeiden, den englischen Namen Henri-Edmond Cross zulegte. In Lille und später in Paris erhielt er eine akademische Ausbildung, und seine frühen Arbeiten aus der ersten Hälfte der 1880er Jahre – dunkeltonige naturalistische Porträts – bewegen sich noch in gänzlich konventionellen Bahnen. Dies änderte sich seit etwa 1885, als die Palette heller wurde und eine deutliche Hinwendung zum Pleinairismus und Impressionsmus erfolgte. Obwohl Cross als Mitbegründer des „Salon des Indépendants“ (Salon der Unabhängigen) damals die Bekanntschaft mit Georges Seurat und Paul Signac machte, entstand sein erstes neoimpressionistisches, konsequent divisionistischen Prinzipien folgendes Gemälde erst 1891, im Todesjahr von Georges Seurat. Es handelt sich um das repräsentative, lebensgroße Bild „Madame Hector France“, geborene Irma Clare, der damaligen Lebensgefährtin des Romanciers Hector France und ab 1893 Ehefrau des Malers, mit der er sich 1891 dauerhaft an der Côte d‘Azur in Südfrankreich niederließ.
Der Umzug von Paris an die französische Riviera war für Cross‘ künstlerische Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Die mediterrane Landschaft wurde ihm zu einer permanenten Quelle der Inspiration. So stand die von der Zivilisation scheinbar unberührte, gelegentlich von Badenden, auch von „Nymphen“ oder „Faunen“ bevölkerte Natur mit Pinienwäldern (z.B. „Une Pinède“, 1906), Meeresstränden und sanften Hügelketten im Mittelpunkt seines malerischen Schaffens. Dabei kam der nackten menschlichen Figur, sei es im Sinne des lebensreformerisch motivierten Naturismus, sei es symbolistisch aufgeladen, sei es mythologisch grundiert, eine prominente Rolle zu. Beeinflußt durch die Figurenkompositionen des Symbolisten Puvis de Chavannes, sind diese in die Landschaft integrierten Aktfiguren allerdings nicht immer frei von einem gewissen Hauch des Akademischen. In seinen arkadischen Idyllen, die die Utopie eines „Goldenen Zeitalters“ beschwören und das pantheistische Naturgefühls des Künstlers spürbar machen, zelebriert Cross eine als überzeitlich begriffene „Schönheit für die Ewigkeit“, wie er es 1901 in einem Brief an einen befreundeten Maler formuliert hat.
Gemeinsam mit Signac, der in den Sommermonaten regelmäßig nach Südfrankreich kam, befreite Cross den Neoimpressionismus aus seiner Erstarrung, in die er durch die dogmatische Anwendung der Methode der Zerteilung oder Zerlegung einer bestimmten Farbe in ihre reinbunten Bestandteile (Divisionismus), durch den minutiösen Auftrag keinster Farbpunkte auf die Leinwand (Pointillismus) und durch das Prinzip der optischen Mischung der Farben auf der Netzhaut des Betrachters geraten war. Er hatte erkannt, daß die optische Mischung keineswegs umstandslos zum angestrebten Ziel einer maximalen Steigerung der Leuchtkraft der Farben geführt hatte, sondern daß, je kleiner die Punkte waren, umso stärker Graueffekte eintreten konnten. Folglich ersetzte er im Laufe der Zeit die Punkte durch größere, kommaartige Striche und gelangte auf diese Weise zu einer lebhaften, kraftvollen Koloristik, die jene der Gemälde Seurats deutlich übertraf. Während sich Seurat an den zur damaligen Zeit neueren farbphysikalischen und farbphysiologischen Erkenntnissen orientiert hatte, u.a. an Michel Eugène Chevreuls Grundlagenwerk „De la loi du contraste simultané des couleurs“ (Über das Gesetz des Simultankontrastes der Farben) , und damit eine Verwissenschaftlichung des Impressionismus angestrebt hatte, hegte Cross dagegen erhebliche Vorbehalte. Zwar beschäftigten auch ihn die Gesetze der Farbenkontrastwirkung, doch, so der Künstler, „lasse ich mich (dabei) nicht auf zu viel theoretische Überlegungen ein, denn ich glaube, daß mir dafür einfach die erforderliche Systematik fehlt.“ Das zarte, in seiner Farbigkeit stark zurückgenommene Landschaftsgemälde „Les Îles d’Or“ (Die Goldenen Inseln) von 1891/92 mit einer Andeutung von Sandstrand am unteren Bildrand, darüber einer großen Zone Meer und oberhalb des Horizonts einem schmalen Streifen Berge und Himmel, zeigt nicht nur, wie früh Cross sich hinsichtlich des Farbauftrags von den Praktiken Seurats emanzipierte, sondern es überrascht auch durch einen für die Zeit ganz erstaunlichen Grad der Abstraktion. Mit seiner Distanzierung von der strengen Systematik des Pointillismus ging bei Cross – fasziniert von der Linien- und Flächenkunst des japanischen Farbholzschnitts – übrigens auch eine vorübergehende Hinwendung zum Dekorativen und zu arabeskenhaften, art nouveau-affinen Gestaltbildungen einher, so zum Beispiel in dem Bild „La Ferme (soir)“ (Der Bauernhof. Abend) von 1893, das allerdings noch dem hochgradig disziplinierten, punktförmigen Farbauftrag Seurat‘scher Observanz verpflichtet ist.
Neben der Steigerung der Farbe lässt sich im Spätwerk von Cross gelegentlich eine bemerkenswerte Lockerung des Farbauftrags, ein befreiter, expressiver Pinselduktus, beobachten, etwa in der Ölskizze „Dormeuse nue dans la clairière“ (Nackte Schlafende in der Lichtung) von1907, einem Bild an der Schnittstelle zwischen impressionistischer Lichtmalerei und fauvistischer Ausdruckskunst. Tatsächlich hat Henri-Edmond Cross den jungen Matisse und andere Fauves wie Derain und Marquet maßgeblich beeinflußt, und insofern kommt ihm kunstgeschichtlich eine bedeutende Brückenfunktion zwischen dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert zu.
Bis zum Ersten Weltkrieg wurde Cross in Deutschland häufig ausgestellt, danach geriet er hierzulande eher in den Hintergrund. Prominente Sammler, Künstler und Kunstvermittler wie Harry Graf Kessler, Henry van de Velde, Curt Herrmann, Eberhard von Bodenhausen, Julius Meier-Graefe, Paul Cassirer und andere setzten sich dafür ein, daß der Künstler in Deutschland bekannt gemacht wurde. Den Höhepunkt der Rezeption von Cross in deutschen Landen stellte im Jahr 1912 die legendäre Sonderbund-Ausstellung in Köln dar. Zwei Jahre nach seinem frühen Krebstod war er hier mit fünfzehn Arbeiten vertreten, die ihn dem internationalen Publikum nicht nur als „Maler des Glücks“, sondern vor allem als einen der bedeutenden Pioniere der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts vorführten.
Katalogbuch:
Henri-Edmond Cross Peindre le bonheur
hrsg. v. Musée des impressionismes Giverny (Frédéric Frank, Marina Ferretti Bocquillon, Ortrud Westheider, Michael Philipp)
Prestel Verlag München, ISBN: 978-3-7913-5804-8, Ladenpreis 39,95 €
Color and Light The Neo-Impressionist Henri-Edmond Cross
ISBN: 978-3-7913-5773-7 – 39,- €
Weitere Informationen: https://www.decitre.fr/livres/ und https://www.randomhouse.de/
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