Im Japanfieber. Von Monet bis Manga

Arp Museum Bahnhof Rolandseck bis 20. Januar 2019

von Rainer K. Wick

Théo van Rysselberghe, Anna Boch in ihrem Atelier, 1892
Foto © Rainer K. Wick
Im Japanfieber. Von Monet bis Manga
 
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
bis 20. Januar 2019
 
Die Bedeutung der Kunst Japans für die Entwicklung der europäischen Moderne in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und zu Anfang des 20. Jahrhunderts kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nachdem im Frühjahr/Frühsommer diesen Jahres die Ausstellung „Japonismes / Impressionismes“ im Musée des Impressionismes in Giverny, dem langjährigen Wohnort von Claude Monet, zu Ende gegangen ist, kann man sie derzeit in veränderter, allerdings deutlich verkleinerter Form im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen besichtigen.

Im Jahr 1854 erzwangen die USA die Öffnung japanischer Häfen. Damit ging die mehr als zweihundert Jahre dauernde Isolation Japans zu Ende. Nun strömten ungeahnte Mengen an japanischen Kunstgegenständen, kunsthandwerklichen Erzeugnissen und Objekten des alltäglichen Gebrauchs nach Europa. Diese Entwicklung steigerte sich noch ab 1868 im Zuge der sog. Meiji-Restauration, also der Abschaffung des feudalistischen Shogunats und der Erneuerung der Macht des Tenno im Sinne einer „aufgeklärten Herrschaft“, zu deren Agenda auch ein intensiverer Austausch von Waren und Ideen mit dem Westen gehörte. Unter dem Eindruck der Importe aus Japan kam es vor allem in Frankreich, aber auch in anderen europäischen Ländern, zu einer geradezu überschwenglichen Japanbegeisterung, die sich in der bildenden Kunst als sogenannter Japonismus manifestierte.



Claude Monet, Die japanische Brücke, um 1918-1924, Foto © Rainer K. Wick


Blauer Salon im Haus von Claude Monet in Giverny, Foto © Rainer K. Wick

Von größter Bedeutung für die ästhetische Revolution der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich als Abkehr von der Akademie und als Überwindung des Historismus beschreiben läßt, war in Europa die Entdeckung des japanischen Farbholzschnitts und die Orientierung progressiver Künstler an dessen Gestaltungsprinzipien, etwa starke Farbigkeit, Flächenhaftigkeit, Perspektivlosigkeit, kühne Bildausschnitte. Diese Bilder, Ukiyo-e auf japanisch, etwa von Utamaro, Hokusai und Hiroshige, um nur die bekanntesten Namen zu nennen, waren zur damaligen Zeit überaus populär. Sie wurden öffentlich ausgestellt, von Kunsthändlern wie Siegfried (Samuel) Bing in Paris käuflich angeboten und waren in Künstlerkreisen ein beliebter Sammelgegenstand. Claude Monet besaß eine beachtliche Sammlung japanischer Druckgrafik, und zahlreiche Werke, die bis heute die Wände seines Domizils in Giverny schmücken und nun erstmals außerhalb Frankreichs zu sehen sind, bilden gleichsam das Rückgrat der aktuellen Ausstellung in Remagen-Rolandseck. Im fensterlosen und damit höchster Konzentration förderlichen Schauraum der Kunstkammer Rau des Arp Museums wird das „Japanfieber“ in drei thematischen Blöcken durchdekliniert.
Im Zentrum des ersten Teils des Ausstellung stehen Innenraum- und Atelieransichten impressionistischer (Berthe Morisot), neoimpressionistischer (Théo van Rysselberghe) und postimpressionistischer Maler (Pierre Bonnard, Felix Edouard Vallotton). Stilistisch sehr unterschiedlich, ist ihnen gemeinsam, daß sie – zum Teil exakt identifizierbare – japanische Farbholzschnitte zeigen, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert offenbar zur Standardausstattung der Künstlerateliers gehörten – sei es als modische Zutat, sei es als Quelle der Inspiration oder als sichtbares Bekenntnis, „modern“ zu sein.


Louis Valtat, Die weißen Mäuse, 1893, Foto © Rainer K. Wick

So groß die damalige Japan-Begeisterung war, so leicht konnte es zu Erscheinungen überschießender Phantasie kommen. Davon erzählt das zweite Kapitel der Ausstellung, das dem Thema „Geisha“ gewidmet ist. Natürlich waren seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa die Shunga genannten, oft derb-erotischen Holzschnitte von Utamaro, Hokusai und anderen japanischen Künstlern bekannt. Die Geisha wurde zum Inbegriff fernöstlicher Erotik. In dieser Figur kulminierten die Vorstellungen von Sinnlichkeit, Begierde und Verführung, so wie zuvor im Zuge des sogenannten Orientalismus der Harem und seine Bewohnerinnen die Männerphantasien angeheizt hatten. Maler wie Delacroix, Gérôme und Dominique Ingres bannten einen mit Erotik aufgeladenen Orient auf die Leinwand, nun, befallen vom „Japanfieber“, kleideten die Künstler ihre Modelle in Kimonos (William Merritt Chase) oder ließen sie nackt mit einem japanischen Fächer in der Hand (Louis Valtat) und japanischen Motiven im Hintergrund (Pierre Bonnard) posieren. Das Bild, das man sich im Westen von einer Geisha machte, hatte mit der Wirklichkeit allerdings kaum etwas zu tun. Traditionell ist die Geisha eine hochkultivierte, einen Kimono tragende, kunstvolle frisierte und aufwendig geschminkte Unterhaltungskünstlerin, die eine gute Sängerin und Tänzerin sein muß, zu einer anspruchsvollen Konversation fähig ist und die klassische Teezeremonie beherrscht. Erotik spielt dabei allenfalls eine untergeordnete Rolle. Insofern müssen die in Remagen ausgestellten Bilder eher als Zeugnisse männlicher Projektionen und als zeitgeschichtlich aufschlußreiche Dokumente eines kulturellen Missverständnisses betrachtet werden.


Pierre Bonnard, Frau bei ihrer Toilette, um 1905, Foto © Rainer K. Wick

Der dritte Teil der Ausstellung in der Kunstkammer Rau thematisiert den durch die Erfahrung japanischer Kunst veränderten Blick französischer Künstler und die damit verbundene „ästhetische Revolution“. Hier finden sich neben einschlägigen Farbholzschnitten von Hokusai und Hiroshige, meist aus der Fondation Claude Monet in Giverny, vor allem Landschaftsgemälde und Naturansichten von Monet, Caillebotte, Seurat, Signac, Bonnard und Vuillard. Sie stammen aus Privatbesitz, der Sammlung Rau in Rolandseck, der Tate National in London, der Fondation Beyeler in Riehen, dem Musée des Impressionismes in Giverny und anderen Häusern. In einigen dieser Bilder ist der Einfluß Japans unmittelbar ersichtlich – das Flächenhafte, die scheinbar zufälligen Bildausschnitte, die hohen Horizonte, der asymmetrische Bildaufbau, die intensive Farbigkeit –, in anderen ist Japan eher unterschwellig spürbar. Besonders hervorzuheben sind zwei späte Gemälde von Claude Monet, und zwar „Seerosen und Weidenzweige“ (1916-1919) und „Die japanische Brücke“ (1918-1924), die im zauberhaften Garten des Künstlers an seinem Wohnhaus in Giverny entstanden sind. In beiden Bildern stößt Monet in Regionen vor, die den späteren Abstrakten Expressionismus zu antizipieren scheinen.

 
William Merritt Chase, Eine gemütliche Ecke (Der blaue Kimono), um 1888, Foto © Rainer K. Wick

Sofern den Besucher der Ausstellung trotz etlicher exquisiter Exponate das Gefühl einer gewissen Blutarmut beschleicht, so wird ihn ein Blick in den sehr schönen, informativen Katalog in dieser Hinsicht bestätigen. Denn er wird feststellen, daß dort zahlreiche Schlüsselwerke des Japonismus abgebildet sind, die in der ersten Jahreshälfte im Musée des Impressionismes Giverny gezeigt wurden, in Rolandseck aber fehlen. Bei genauerer Betrachtung erweist sich, daß hier nur rund vierzig Prozent dessen dargeboten wird, was zuvor in Giverny zu sehen war. Schmerzlich vermißt werden etwa Manets großartiges Porträt von Émile Zola (1868) mit einem gerahmten japanischen Farbholzschnitt und einem japanischen Paravent im Hintergrund, Auguste Renoirs „Stilleben mit Bukett und Fächer“ (1871), Vincent van Goghs „Italienerin“ (1887), Druckgrafik von Edgar Degas, Mary Cassatt, Paul Gauguin, Félix Vallotton und anderen, Plakate von Toulouse-Lautrec und Pierre Bonnard sowie Gemälde von Gauguin, Sérusier, Cross und Vuillard bis hin zu Matisse.


'Japanfieber' Eingangsbereich der Ausstellung, Foto © Rainer K. Wick

Ob sich alle Besucher der Ausstellung in der Kunstkammer Rau auch für Manga, die japanische Form des Comics, erwärmen können, deren Anfänge historisch auf Hokusai und andere Holzschnittkünstler zurückgeführt werden können, mag dahingestellt bleiben. Möglicherweise spricht der zweite Teil der Ausstellung im historischen Bahnhof Rolandseck unter den Stichworten „Manga“, „Anime“ (Zeichentrickfilm) und „Cosplay“ (Custumeplay) eher ein ganz anderes, jüngeres Publikum an – sofern dies überhaupt noch den Weg in ein Kunstmuseum findet. Wen Erscheinungsformen und Entstehungsprozesse derartiger alltagskultureller Massenphänomene, die in Japan überaus populär sind und auch hierzulande zahlreiche Anhänger haben, interessieren, wird in Rolandseck sicherlich auf seine Kosten kommen.
 
Weitere Informationen: https://arpmuseum.org/