Seh-Reise (42)

Zweiundvierzigste Ausfahrt: Peter Paul Rubens

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (42)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
42. Ausfahrt: Peter Paul Rubens
 

Bestien
 
Zum ersten Mal vielleicht ist mir in diesen Tagen die Seh-Reise ein bßchen fragwürdig vorgekommen, die ich da Woche für Woche in meiner Küche antrete. Die Jagdszene des Peter Paul Rubens, die die Leinwand randvoll füllt („in natura“ drei Meter mal zweifünfzig), ist in meinem Holzrähmchen auf das Bonsai-Format von 10 x 15 Zentimeter geschrumpft. Unter dieser absurden Unverhältnismäßigkeit litt meine Freude jedes Mal, wenn der Blick auf das leidenschaftliche, farbstarke Getümmel von Mensch und Tier fiel. Dieses Gemälde drängt doch ins Weite, braucht Platz, sprengt jeden Rahmen. Es ist die Wildheit an sich, die im Bild beschworen wird. Bestialische Kräfte toben sich aus, zum Fürchten. Diese viehischen Urgewalten auf Zwergen-Maß zu stutzen, hat etwas Widersinniges. Und ist vielleicht doch nur ein weiterer Schritt auf dem langen Weg, die Kraft des Übergewaltigen auf Menschenmaß zu bringen und, durch die Finten der Kunst, sogar genießbar zu machen.
 
Wie Rubens, dieser Antwerpener Großbürger des 17. Jahrhunderts, das geschafft hat!
 
Schwarz wie die Nacht bricht die Bestie mitten aus dem Bild auf den Betrachter zu, das Maul mit den tödlich spitzen Zähnen weit aufgerissen. Um dieses Ereignis von Urkraft herum inszeniert der Maler, mit dem barock aufschäumenden Temperament seiner Zeit, die Anstrengung des Menschen, dieser weit überlegenen Gewalt Herr zu werden. Von hinten und von der Seite drängen drei Reiter heran auf Pferden und stoßen, flankiert von beißwütigen Hunden, ihre Speere in das schwarze Ungeheuer. Sichtbar keine Europäer – Männer des Orients sind die Jäger. (Auf einem von Rubens‘ zahlreichen Altarbildern könnten sie auch die heiligen drei König geben im Stall von Bethlehem.) Hier setzen die drei Orientalen (Türken, Araber?) die Künste ihrer Jagdtechnik ein, um solche Bestien wie Nilpferd und Krokodil, die in ihren Breiten heimisch sind, zu bekämpfen und zur Strecke zu bringen. Auf sie, daran besteht kein Zweifel, ist Verlaß. Sie werden das Ungeheuer schaffen. Dem Nackten links, nach seinem kahl rasierten Schädel wohl ein Kosake, nur mit einem Dolch bewaffnet, traut man das schon viel weniger zu, während der einzige Europäer (seiner blassen Hautfarbe nach) bereits leblos am Boden liegt.
 
Unter einem dramatisch bleiernen Himmel findet das Jagdgeschehen statt, doch im Hintergrund, unter dem Pferdehuf, blitzt ein Fleck heiterer (friedlicher?) Natur auf, unter Palmen und blauem Firmament.


Peter Paul Rubens, Jagd auf Nilpferd und Krokodil 1616 - Alte Pinakothek München -  Quelle: Wikipedia

Mit diesem großformatigen Gemälde kam Peter Paul Rubens dem Publikumsgeschmack seiner Zeit entgegen. Die Kundschaft, Adelige und Patrizier aus ganz Europa, liebten solche Szenen der Jagd von Menschen auf Tiere, Momente höchster Gefahr, in voller Dramatik. Die Jagd war Privileg des Adels. Das todbringende Handwerk freilich überließ man gern den einfachen Ständen, den Bauern zu Hause, fremden Völkerschaften, am liebsten Muselmanen, in der Ferne. Der Herr, meist in metallener Rüstung, sprengt dann im letzten Augenblick hinzu, wenn der Kampf auf Leben und Tod entschieden ist, um von hoher Warte dem Tier den Gnadenstoß zu versetzen und sich als Sieger feiern zu lassen. Ins Gras zu beißen blieb den niedrig geborenen Jagdgehilfen vorbehalten.
 
Insofern führt Rubens‘ Bild vom Kampf Mensch gegen Tier die Hierarchie der barocken Gesellschaft vor Augen, mit aller Selbstverständlichkeit, ohne die mindeste Spur eines schlechten Gewissens. Das Leben des Gehilfen, der tot am Boden liegt, hat nicht mehr Gewicht und Würde als das Nilpferd oder Krokodil, denen all ihre geballte Kraft vor den Speeren der Jäger und in den Fängen der Hundemeute nichts nützen wird. Sie sind dazu da, den Herrschern auf dem theatrum mundi als Trophäen zu dienen.
 
Das grandiose Jagd-Bild hat Rubens zu Anfang dreißigjährigen Kriegens über Europa gemalt, dessen Ende er selbst nicht mehr erleben sollte. An keinem Tag seines nicht allzu langen Lebens herrschte Friede auf diesem Kontinent. Gerade auch dem nachgeborenen Betrachter wird das Gemälde zum Symbol eines Kriegs, den gottgewollte Herrschaften über die Welt und ihre Menschen brachten. Man täte Peter Paul Rubens mit Sicherheit Unrecht, wollte man auch nur einen Hauch von Kritik in sein Bild hineindeuten. Gerade aus der ungebrochenen Lebenslust und Daseinsfreude des Barocks lebt es ja. Es sind unsere Augen, die in dem Nilpferd die angsterfüllte, geschundene Kreatur zu erkennen gelernt haben.
 
Jede Zeit hat ihre trüben Stellen in der Optik. Wofür sind heute unsere Augen blind?
 
Peter Paul Rubens, Jagd auf Nilpferd und Krokodil, um 1616. Öl auf Leinwand, 248 x 321 cm - Alte Pinakothek München
 

Redaktion: Frank Becker