„Kunst ist eine Sache allertiefster Menschlichkeit“

Der Bildhauer Ernst Barlach starb am 24. Oktober 1938

von Andreas Rehnolt

Barlachs Engel in Güstrow - Foto © Jens Burkhardt-Plückhahn

„Kunst ist eine Sache allertiefster Menschlichkeit“
 
Der expressionistische Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller Ernst Barlach
starb am 24. Oktober 1938 in Rostock
 
Von Andreas Rehnolt
 
Güstrow - „Kunst ist eine Sache allertiefster Menschlichkeit.“ Dieser Satz des Bildhauers, Zeichners und Schriftstellers Ernst Barlach steht für das Werk eines Künstlers, der sich bis zu seinem Tod am 24. Oktober 1938 in Rostock in seinen Arbeiten um zeitlos gültige Aussagen über das Menschsein bemüht hat. Dabei sparte der 1870 in Wedel geborene Arztsohn, der ab 1910 im mecklenburgischen Güstrow lebte, eine kritische Sicht auf die Gegenwart nicht aus.
Seine Plastiken und Zeichnungen, aber auch seine nicht so bekannten zahlreichen Dramen spiegeln die soziale Not und widersetzen sich bürgerlichen Konventionen. Viele seiner Plastiken befinden sich in katholischen oder protestantischen Kirchen. Unter anderem in Köln, Marburg, Güstrow, Bremen, Kiel, Lübeck-Travemünde, Kiel, Münster und Magdeburg.
 
In der evangelischen Antoniter-Citykirche in Köln etwa hängt seit 1952 der überlebensgroße in Bronze gegossene „Schwebende Engel“, den Barlach 1927 als Totenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs schuf. Er wurde zunächst im Dom in Güstrow aufgestellt. Der Engel trägt die Gesichtszüge von Barlachs Künstlerkollegin Käthe Kollwitz (1867-1945). Diese Arbeit des vor 80 Jahren an einem Herzinfarkt verstorbenen Künstlers gilt als eines seiner Schlüsselwerke und hat eine eigene Geschichte.
Als Plädoyer gegen Krieg und Gewalt geschaffen, war diese Arbeit eine revolutionäre Neuerung. Damals gängige Kriegsdenkmale dienten der Glorifizierung der Gestorbenen und sollten für weitere Generationen Anreize zum „Heldentod“ geben, wie die Kölner Kirchenführerin Antje Löhr-Sieberg einmal sagte. Kein Wunder, daß die Nationalsozialisten 1937 Barlachs unheroischen „Schwebenden“ und viele andere seiner Mahnmale entfernen und für Kriegszwecke einschmelzen ließen.
 
Zwar hatte Barlach noch 1934 in einem Bekenntnis betont, er gehöre zu des Führers Gefolgschaft“, doch war er ab diesem Jahr für die Nazis ein Schöpfer „entarteter Kunst“. Nicht zuletzt durch seine damals entstandene Plastik „Der Wanderer im Wind“, mit der sich Barlach gegen die nationalsozialistisch Ideologie stellte. Überhaupt paßten der Kulturideologie der Nazis Barlachs Bauern und Bettler nicht. Schließlich erteilten sie ihm ein Ausstellungsverbot.
Seine künstlerische Arbeit setzte er fort und wandte sich weiter der existentiellen Einsamkeit des Einzelnen zu. Versehrte, Geächtete und Notleidende bleiben als Randfiguren der Gesellschaft seine Hauptmotive. Das Original-Werkmodell seines „Schwebenden“ überstand die Wirren des Krieges. Die Figur in Köln ist ein daraus geschaffener Zweitguß. Ein von diesem abgenommener weiterer Guß wurde 1953 der Domgemeinde in Güstrow als Geschenk der Evangelischen Gemeinde Köln übergeben.
 
In Güstrow befindet sich der größte zusammenhängende Werkbestand an bildhauerischen, graphischen und schriftlichen Arbeiten, Skizzen und Entwürfen Barlachs. Dazu zählen etwa 320 plastische Arbeiten, 1.400 Zeichnungen, 200 Druckgraphiken sowie jeweils über 100 Skizzenbücher und literarische Manuskripte. 1953 wurde in Güstrow in der Gertrudenkapelle ein Ausstellungsraum eröffnet, in dem sich etwa der „Lesende Klosterschüler“ von 1930 oder die 1937 entstandene Holzfigur „Der Zweifler“ befinden. 
Ein Ernst-Barlach-Museum wurde 1987 im Geburtshaus des Künstlers in Wedel in Schleswig-Holstein eröffnet. Es wird wie das Barlach-Museum Ratzeburg von der Hamburger Ernst Barlach Gesellschaft betrieben. Das Museum in Wedel verfügt über eine Sammlung von Skulpturen, Zeichnungen, Holzschnitten, Lithographien, Briefen und Manuskripten des Künstlers. In Ratzeburg - der Stadt von Barlachs Kindheit - befindet sich auch das Grab des Künstlers, der dort am 24. Oktober vor 80 Jahren gestorben ist.