Eine Strafjustiz mit Rabattsystem

Stephan Zantke – „Wenn Deutschland so scheiße ist, warum sind Sie dann hier?“

von Robert Sernatini

Eine Strafjustiz mit Rabattsystem
 
Ein Richter legt den Finger in die Wunde.
 
Amtsgericht Zwickau, Ende 2017: Als sich ein Flüchtling aus Libyen wegen Gewalt- und Beleidigungsdelikten vor Gericht verantworten muß und über „Scheißdeutschland“ schimpft, fragt ihn der Amtsrichter Stephan Zantke: „Wenn es bei uns so scheiße ist, warum sind Sie dann hier?“ Dieser Satz macht Zantke über Nacht berühmt. Bringt er doch auf den Punkt, was längst Alltag in deutschen Gerichtssälen ist: daß der Respekt vor Justiz und Staat immer mehr verloren geht….
 
In seinem Buch mit dem Titel „Wenn es bei uns so scheiße ist, warum sind Sie dann hier?“ berichtet Stephan Zantke in Fallanalysen über zehn kriminelle Karrieren, die ihren Weg quer durch das Strafgesetzbuch genommen haben. Er erzählt dabei von Dieben und Räubern, Drogenhändlern und hemmungslosen Schlägern, brutalen Vergewaltigern und Neonazis, also von Menschen ohne jeden Respekt vor den Rechten und der körperlichen Unversehrtheit ihrer Mitbürger. Es sind Menschen aus unserer Mitte, die nicht früh genug daran gehindert worden sind, ihre kriminelle Karriere zu machen.
Fast unerträglich zu lesen sind einige dieser Fallbeschreibungen, wenn auch notwendig zum Verständnis der Situation. Man bekommt bedrückende Einblicke in deutsche Parallelwelten und kriminelle Milieus. Stephan Zantke zeigt, wie erschreckend nah uns das Verbrechen täglich umgibt und wie machtlos und erbärmlich sich der unentschlossene Staat, der zu Ihrem und meinem Schutz verpflichtet ist, oftmals zeigt. Der Amtsrichter lenkt mit seinem Buch, das ein Plädoyer für eine starke Rechtsprechung ist, den Blick auf eine einerseits überforderte, zum anderen aber auch schwerfällige und schwache Justiz sowie auf notorische Kriminelle und einige offenbar nicht dem Ehrenkodex des „Dahs“ und der Rechtsfindung verpflichtete Anwälte, die sich die Schwäche des Staates skrupellos zunutze machen.
 
Es ist eine unpolemisch nüchterne, sehr nachdenklich stimmende Analyse unseres hilflosen Rechtssystems, das sich mit seinem Rabatt-Verhalten und immer neuen  Bewährungen lächerlich macht, oftmals die Täter hätschelt, die Opfer aber bitter im Stich läßt. Das Nachwort „Quo Vadis, Justitia?“ ist ein flammender Appell für eine konsequente Ausschöpfung der gesetzlich festgelegten Strafzumessungen. Darf es sein, daß ein Vergewaltiger nicht für viele Jahre hinter Gefängnismauern verschwindet? Muß nicht vom Gesetzgeber, also von den vom Volk gewählten Vertretern bei Intensivtätern über eine Reform der Strafmündigkeit für Straftäter unter 14 Jahren nachgedacht werden? Wieso werden die von Amtsrichtern, die dem Leben nahe sind, verhängten Strafen allzu oft, beinahe immer, von Landgerichten unerträglich abgemildert? Warum werden Strafen „rechnerisch“ leichter, je mehr Straftaten jemand begeht?
Stephan Zantkes Buch verdient viele aufmerksame Leser, damit ein paar mehr Menschen begreifen, daß es, nicht zuletzt durch die Inkonsequenz der Justiz, sehr schlecht um die innere Sicherheit in unserem Staat bestellt ist.
 
Die Fälle:
1. Die falsche Blondine - 2. Der kleine Nazi - 3. Der Friedhofsräuber von Crimmitschau - 4. Die Rote Lola - 5. Die zerstörte Kindheit - 6. »Wenn es hier so scheiße ist ...« - 7. Unter Alkoholikern - 8. Fernando und die Diebesbande - 9. Mein täglich Crystal gib mir heute - 10. Wie man sich bettet, so liegt man
 
Stephan Zantke – „Wenn Deutschland so scheiße ist, warum sind Sie dann hier?“
Ein Strafrichter urteilt
© 2018 riva Verlag, 203 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-7423-0720-0
16,99 €
Weitere Informationen:  www.rivaverlag.de