Ein Panorama deutscher Befindlichkeit amüsant vorgeführt

„Der Vorname“ von Sönke Wortmann

von Renate Wagner

Der Vorname
(Deutschland 2018)

Regie: Sönke Wortmann
Mit: Caroline Peters, Florian David Fitz, Christoph Maria Herbst, Justus von Dohnányi, Janina Uhse, Iris Berben u.a.
 
Daß die Amerikaner französische Erfolgsfilme neu „auf amerikanisch“ verfilmt haben, weil sie keine ausländischen Filme (am Ende gar mit Untertiteln!) mögen, ist mehr als einmal vorgekommen. Daß die Deutschen das tun – dafür fiele einem kein Beispiel ein. Nun hat man es: „Der Vorname“ ist das „Remake“ des französischen Films „Le Prénom“ aus dem Jahre 2012. Und ja, man versteht, warum es gemacht wurde.
Schon im Original, das auf dem gleichnamigen Theaterstück beruht, geht es um dasselbe Problem wie in der deutschen Fassung: Wenn ein werdender Vater seinen Verwandten und Freunden verkündet, das Kind werde „Adolphe“ heißen, so ist dieses Thema für die Deutschen ja noch ungleich hitziger, kontroverser und politisch brisanter, denn so nahe wie ihnen konnte den Franzosen (bei aller negativen Besetzung der Person) Hitler ja doch nicht sein.
 
Also, die in jeder Hinsicht „eingedeutschte“ Neufassung durch Regisseur Sönke Wortmann  ergibt mit Hilfe einer brillanten Besetzung eine satirische Gesellschaftskomödie erster Ordnung. Und man muß auch sehr stark von der Besetzung sprechen, denn die Schauspieler bringen die Figuren zum Leben.
Da ist Caroline Peters, des Burgtheaters größter weiblicher Schatz, in der Rolle von Elisabeth, an sich eine brave Lehrerin, damit der Gatte Stephan (der immer köstliche Christoph Maria Herbst, hinreißend diesmal in seiner Humorlosigkeit) sich in seiner Position als Hochschulprofessor aufplustern kann (aber seine Dissertation hat sie ihm geschrieben, wie u.a. herauskommt, als die Stunde der Wahrheit schlägt). Die beiden haben Gäste zum Abendessen: Ihr Bruder Thomas (Florian David Fitz, locker und mutwillig), der Musiker René (Justus von Dohnányi, ein bißchen verbissen), der mit ihnen aufgewachsen und fast ein Bruder für sie ist, und später kommt auch noch die schwangere Jana (Janina Uhse, sympathisch klug) hinzu.
 
Das Geplaudere mag, wie das bei Intellektuellen so ist, ein bißchen hochgestochen sein. Thomas sieht in der Bibliothek des überkorrekten Schwagers eine aufwendige, kommentierte, zweibändige Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“. Und läßt in der Folge (nur als Provokation) die Mitteilung fallen, daß er seinen zu erwartenden Sohn „Adolf“ nennen wird…
Was immer man sich angesichts einer solchen Bombe vorstellen kann, explodiert. Die Empörung des politisch Korrekten führt direkt in das deutsche Bewußtsein unserer Zeit – wobei Hitler als Feindbild, an dem man ununterbrochen sich und den anderen die eigene Rechtschaffenheit beweisen kann, offenbar gerade für die Linken unentbehrlich ist.
Daß Gespräche, die so tief ins Ideologische gehen, schnell ins Persönliche abdriften, und daß eine unfreundliche Wahrheit, dem Mitmenschen ins Gesicht gesagt, die nächste nach sich zieht, versteht sich. Und schon ist man inmitten der Peinlichkeiten, die man normalerweise vermeidet, die aber herausplatzen, wenn die Reizschwelle überschritten wird. Auf einmal wird Neid offenbar, Eifersucht, Schäbigkeit, Bosheit, alles, was man sonst unter dem Deckel hält.
 
So ist es eine Komödie, die jede einzelne Figur in ihrem Wesen und ihrer Psychologie packt, andererseits aber auch ein Panorama deutscher Befindlichkeit in verschiedenen Facetten entfaltet. Daß die berühmte Toleranz aussetzt, wenn man ganz „persönlich“ wird, zeigt sich an einem nur amüsanten und nicht problematischen Handlungsstrang, in den dann auch die Mutter der Familie (Iris Berben, wunderbar unkonventionell) verstrickt ist.
So ist am Ende des Films eine Menge Tünche abgewaschen, und wieder einmal erfährt man, was man ohnedies weiß: Daß das Leben ohne Lügen und Lebenslügen vermutlich gar nicht funktionieren würde. Man hat es nur selten – und das bloß anhand des Reizwortes „Adolf“ – so amüsant vorgeführt bekommen.
 
 
Renate Wagner