Take The A-Train

Sempé – „Musik“

von Frank Becker

Take The A-Train
 
Von einem der auszog, um eigentlich Musiker zu werden
- das illustrierte Bekenntnis von Sempé
 
„Nicht mit mir sollten Sie ein Interview
führen, sondern mit Debussy!“
 
Sempé-Freunde wissen, daß der einzigartige Zeichner in seinen liebenswerten Cartoons und Bildern recht oft Musiker eine zentrale Rolle spielen läßt, denken wir nur an seinen Buchumschlag zu „Mondscheingeschichten“ oder die immer wieder in seinen Büchern erscheinenden Violinspieler, Cellisten, Pianisten, Saxophon- und Kontrabaßspieler oder Passanten mit Geigenkasten. Was hinter dieser Liebe steckt und warum Jean-Jacques Sempé nicht Musiker sondern Zeichner geworden ist, erfahren wir aus seinem jüngsten, traumhaft schönen Buch „Musik“, das vor kurzem im Diogenes Verlag erschienen ist. Marc Lecarpentier hat Sempé besucht und mit ihm über das Leben und seine Wege gesprochen. Das Protokoll dieses sehr intimen, ein-, mitunter auch unangenehm aufdringlichen Interviews bildet die Achse des großformatigen Bandes, um die Sempé seine schönsten Musik-Cartoons angeordnet hat.
 
Um dem ständigen Ehekrach seiner Eltern und den schwierigen Verhältnissen zu Hause wenigstens virtuell zu entfliehen, hat Sempé schon als kleiner Junge oft die Flucht vor den Lautsprechers des Radio angetreten und dabei schon bald den Modern Jazz für sich entdeckt, George Gershwin, Duke Ellington und besonders Ray Ventura, der ihm mit seiner Musik „das Leben rettete“. Er hangelte sich durch die anstrengende Woche, weil er wußte, wann das Orchester Venturas wieder zu hören sein würde. In dessen Bigband wollte er damals spielen. Ein Traum. Später kamen Debussy, das französische Chanson und die Lyrik Stéphane Mallarmés hinzu. Es kam, wie wir wissen, anders. Zwar lernte Sempé das Klavierspiel, doch war an eine Karriere als Musiker nicht zu denken – seine Liebe aber blieb die Musik bis auf den Tag. Wir danken es ihm ganz unbescheiden, denn schließlich wissen wir, was wir an ihm als genialem, liebenswertem Zeichner haben, nicht aber, ob er uns mit der Musik ähnliche Genüsse hätte bescheren können.

Mittlerweile sieht Sempé sich selbst als „Jazzer, der zufällig einen Zeichenstift in die Hand bekam“. Welch ein glücklicher Zufall! Mit dem Zeichenstifft erschafft er ganze Symphonie-Orchester (S. 35, S. 98-99), intime kammermusikalische Zirkel und porträtiert einsame, verträumte, stolze und strahlende Solisten - seine eigene, „farbige Comédie humaine“, wie der Verlag es trefflich beschreibt.


© Sempé

Die Bilder Sempés laden zum Verweilen ein, zum sorgfältigen Studieren von Situationen, Mimik und dem tiefen Ausdruck der mit Musik beschäftigen Menschen, die er, mit den Mitteln des gediegenen Cartoons nur leicht überhöht, dem Leben abgeschaut hat. Dabei spielen scheinbar nebensächliche Details wie ein Gemälde von Picasso an der Wand im Hintergrund, eine geduckt aus dem Raum schleichende Katze, ein Hut auf einem Stuhl oder eine Schale Café au lait auf dem Tisch durchaus eine Rolle. Jean-Jacques Sempé schwelgt in großen Tableaus wie dem des selbstverliebten Pianisten (S. 74-75), der mit flatterndem Halstuch den Klang des rauschenden nächtlichen Gartens genießt und eines vergnügt auf einer Bank oder auf einem Bahnsteig wartenden Streichquartetts ebenso wie in seinen Einzel-Studien, seien es fröhlich musizierende Kinder, konzentriert spielende oder nach der Musik ausruhende Erwachsene. Sorgfältig hat er Menschen, Typen studiert und punktgenau skizziert.
Das Buch ist – auf jeden Fall seine Zeichnungen – ein einziges Vergnügen, das unser Prädikat verdient: den Musenkuß.
 
„Es gab Leute, die ich geliebt habe,
und die haben mir das Leben gerettet.
Und es stimmt, sie sind alle fröhlich gewesen.“
 
Sempé – „Musik“
Ein Gespräch mit Marc Lecarpentier. Aus dem Französischen von Jakob Emanuel
© 2018 Diogenes Verlag, ca. 200 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag, 23 × 32 cm – ISBN: 978-3-257-02168-4
38,- € (D) / 50,- sFr / 39,10 € (A)
Weitere Informationen: www.diogenes.ch