Finstere Mohren, sadistische Türken, sich opfernde Frauen

Das Repertoire der Musiktheater wimmelt von rassistischen und sexistischen Klischees.

von Stefan Keim

Stefan Keim - Foto © Frank Becker
Finstere Mohren, sadistische Türken,
sich opfernde Frauen
 
Das Repertoire der Musiktheater wimmelt
von rassistischen und sexistischen Klischees.
Die Lösung für das Problem liegt im Regietheater.
 
Von Stefan Keim
 
Rassismus und Sexismus in Klassikern sind seit einiger Zeit immer wieder Thema. Der Jude Shylock aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ oder auch der „Othello“ sind aus heutiger Sicht zwiespältige Charaktere, die kein heutiger Autor so schreiben würde. Stefan Keim richtete jüngst den Blick auf das Musiktheater und sah in einer Aufführung der Operette „Das Land des Lächelns“ in Wuppertal Szenen, die er als rassistisch empfand. Doch das ist nur die berühmte Spitze eines Eisbergs. Beim Blick ins Repertoire der Musiktheater entdeckt man viele problematische Stücke.
 
„Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen...“
 
Osmin ist Wächter im Harem seines Chefs Bassa Selim. Ein blutrünstiger, grausamer Mann, der sich von einer jungen Dame namens Blonde zum Saufen verführen lässt und dann zum trotteligen Tanzbären wird. Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ wird zu Recht gerühmt, weil mit Bassa Selim ein aufgeklärter Herrscher im Mittelpunkt steht, der am Schluß den geraubten Frauen die Freiheit schenkt. Doch Osmin ist eine Figur, in der sich die Ressentiments der Wiener gegen die Türken am Ende des 18. Jahrhundert spiegeln. Die Belagerungen der Stadt durch das Osmanische Reich waren noch im kollektiven Bewußtsein.
 
Für viele problematische Figuren in populären Opern gibt es historische Erklärungen. Das Wissen um fremde Kulturen war weit vor dem Online-Zeitalter in großen Teilen der Bevölkerung nicht besonders groß. Und viele Librettisten lieferten ohnehin nur Handlungsgerüste für möglichst effektvolle Arien, ohne auch nur einen Gedanken an gesellschaftliche Hintergründe zu verschwenden. Deshalb wimmeln die Stücke, deren Musik bis heute viele Menschen begeistert, von  verbrecherischen Mohren oder Zigeunerinnen, die Kinder rauben und ins Feuer werfen, wie Azucena in Giuseppe Verdis „Trovatore“.
Ähnlich finster sieht es in den meisten Opern mit den Frauen aus. Mozart zeigte in „Cosi fan tutte“ die Geschlechter noch auf Augenhöhe, doch das ging im 19. Jahrhundert weitgehend  verloren. Die meisten Damen haben nicht mehr zu tun, als sich sopransüß leidend nach Männern zu verzehren und – wenn die Hindernisse für die Liebe zu groß sind – an Schwindsucht dahin zu siechen oder wahnsinnig zu werden. Die tieferen Stimmlagen üben sich meist in der Kunst des Intrigierens und Vergiftens. Im „fliegenden Holländer“ von Richard Wagner opfert sich Kaufmannstochter Senta, um den gespenstischen Titelhelden zu erlösen. Die Geschichte der Oper ist in weiten Teilen eine Geschichte erotischer Männerfantasien.
 
Wer im Musiktheater einen Spielplan auf der Höhe des Diskurses fordert, müßte einen großen Teil des Repertoires für unspielbar erklären. Doch das ist nicht nötig, denn es gibt ja Regisseure, die schwierige Stücke neu befragen und respektvoll inszenieren können. Daß Neudeutungen immer noch auf grundsätzliche Proteste konservativer Opernfans stoßen, ist absurd. Denn gute Regisseure retten die Opern und machen sie überhaupt wieder spielbar. Ästhetisch und inhaltlich hat das Musiktheater in den vergangenen Jahrzehnten viel aufgeholt im Vergleich zum Sprechtheater. Doch manche Debatten, die im Schauspiel längst geführt wurden, haben das deutsche Musiktheater bisher nur ansatzweise erreicht. Dazu gehören die Fragen nach rassistischen und sexistischen Inhalten. Vielleicht fehlt der Druck des Publikums, denn viele Fans sind zufrieden, wenn sie in der Oper schöne Musik geboten bekommen und die Inszenierung den Genuss nicht stört.  Musiktheater auf der Höhe der Zeit zu machen bedeutet viel Vermittlungsarbeit. Gerade die unterhaltenden Formen – die Operette und auch das Musical – kommen oft besonders altbacken und chauvinistisch daher. Wahrscheinlich weil die Theater hier den ökonomischen Erfolg suchen ohne ihr Publikum verstören zu wollen. Doch dieses Denken ist fatal, denn eben durch diese populären Stücke erreichen die Bühnen Menschen, die nicht zum intellektuellen Kreis der Eingeweihten gehören. Gerade Operetten und Musicals sollten mit politischem Feingefühl inszeniert werden, was dem satirischen Witz keinesfalls im Wege steht. Nur dem platten Klamauk. Und auf den können wir  verzichten, vor allem wenn er auf rassistischen und sexistischen Vorurteilen basiert.
 
 
Ein Beitrag für DLF Kultur, Rang 1
In den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.