Der Traum von einer besseren Welt

Thomas Morus – „Utopia“

von Frank Becker

Der Traum von einer besseren Welt
 
„Utopia“ von Thomas Morus
 
Wer von uns hätte nicht schon diesen sehnsuchtsvollen Traum von einer besseren Welt geträumt – zumal genau jetzt, wo es in der Welt an allen Ecken und Enden brennt, wo Kriege aus Gier nach Macht und Rohstoffen schneller vom Zaun gebrochen werden als je zuvor, wo ganze Völker Afrikas, Asiens und Mittelamerikas in Revolutionen, Religionskriegen, Hunger und Krankheiten zugrunde gehen, wo die Not der Ärmsten im eigenen Land ebenso wächst wie der Reichtum skrupelloser Geschäftemacher, wo kriminelle Clans sich arrogant wie ekelhafte Pestgeschwüre ausbreiten und zugleich die freiheitliche Ordnung der wehrlosen säkularen Demokratie massiv von hegemonialer und gewaltbereiter religiöser Einflußnahme bedroht ist und wo Radikale schon wieder den Haß gegen Andersdenkende, Fremde und Juden schüren.
Genau wie der Glaube jeder Generation seit Menschengedenken, daß früher alles besser gewesen sei, ist der Wunsch nach einer friedlichen Idealwelt immer in den Köpfen gewesen. Und immer wieder gab es, am Lauf der Geschichte gemessen, winzige Zeitfenster, in denen es möglich schien, eine solche Welt zu realisieren. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gehörte ebenso dazu wie die ersten Jahre nach dem Kalten Krieg. Eingetreten ist diese Traumwelt aber nie, denn ein solches System stünde ja den Macht- und Wirtschaftsinteressen von skrupellosen Politikern und noch skrupelloseren Wirtschaftskonzernen, namentlich der Waffenindustrie, entgegen. Also heißt es weiter träumen, wie Thomas Morus 1516 in seiner berühmten Fiktion „Utopia“.
 
Im Manesse Verlag ist soeben eine wunderschön gemachte handliche neue Ausgabe dieser kurzweiligen Phantasie erschienen, die das Bild eines autarken, selbstversorgenden bürgerlichen Sozialismus zeichnet, den Morus auf einer Insel lokalisiert, gleichzeitig aber die Hoffnung auf eine mögliche reale Existenz durch die Namensgebung Utopia = Nichtort nimmt. Eine Träumerei eben und angesichts der tatsächlichen Verhältnisse im frühen 16. Jahrhundert unerreichbar.
„Wohlstand und leichte Arbeit für alle, Partnerschaften ohne Konflikte und Kultur von Kindesbeinen an - so muss sie aussehen, die beste aller möglichen Welten. Nie wieder wurde über das Zusammenleben in einer Gesellschaft so menschenfreundlich fantasiert wie in (…) diesem ersten Staatsroman unserer Zeit. Dabei konnte der Kontrast im 16. Jahrhundert, geprägt durch soziale Mißstände, Konflikte und Kriminalität, kaum größer sein. Thomas Morus' Schilderung einer Reise zum Hort purer Harmonie war vor diesem Hintergrund auch nicht durchwegs ernst gemeint. Vielmehr kippt „Utopia“ häufig ins Ironische, was den Roman zu einer noch heute ebenso anregenden wie sympathischen Lektüre macht“, schreibt

Titelholzschnitt der Ausgabe von 1516
der Verlag dazu. Ganz so rosa wie diese Beschreibung und das Lesebändchen ist die recht detaillierte Beschreibung Utopias nicht, denn der durch einen Senat vertretene Staat kennt durchaus auch hier drakonische, teils alttestamentarische Strafen bis hin zur Todesstrafe, z.B. für wiederholten Ehebruch oder Unzucht, was immer darunter verstanden werden kann. Und ganz ohne Kriege scheint es auch in diesem Paradies nicht zu gehen. Morus war eben auch nur ein Kind seiner von der Macht der Mächtigen und der Kirche geprägten Zeit.
Eine beachtens- und empfehlenswerte Lektüre ist „Utopia“ jedoch allemal, pickt man sich die Rosinen jener erträumten besseren Welt heraus.
 
Thomas Morus – „Utopia“
Aus dem Lateinischen von Jacques Laager
Nachwort von Peter Sloterdijk
Manesse Bibliothek (12)
© 2018 Manesse Verlag, 313 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen -  ISBN: 978-3-7175-2456-4
22,- €  [D] inkl. MwSt. / 22,70 € [A] | 30,90* sFr

Weitere Informationen: https://www.randomhouse.de/  -  www.manesse-verlag.de