Straßenmusik (u.a.) in der Historischen Stadthalle Wuppertal

Martin Helmchen und Frank Peter Zimmermann mit Beethovens Sonaten für Klavier und Violine

von Johannes Vesper

Foto © Anna Schwartz

Straßenmusik (u.a.) in der Historischen Stadthalle Wuppertal
 
Martin Helmchen und Frank Peter Zimmermann
mit Beethovens Sonaten für Klavier und Violine
 
Von Johannes Vesper
 
Als Solisten sind sie mit allen großen Orchestern der Welt zu hören. Wenn sie zusammen musizieren, kann ein Kammermusikabend der Sonderklasse erwartet werden. Das gleiche Programm haben die beiden vor wenigen Tagen in der Semperoper zu Dresden gespielt. Jetzt gab es im Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal Beethovens Sonaten für Klavier und Violine Klavier Nr. 8 in G-Dur op. 30/3, Nr. 9 in A-Dur op. 47 ("Kreutzer") und Nr. 10 in G-Dur op. 96 mit Martin Helmchen und Frank Peter Zimmermann.
 
Die 8. Sonate in G-Dur aus dem Jahre 1802 startete assai mit sehr geschwinden Sechzehntel-Figuren, im 6/8 Takt des Klaviers, das Klavier musikalisch führend, wie ja überhaupt diese Duo-Sonaten von Beethoven ausdrücklich als Sonaten für Klavier und Violine bezeichnet wurden. Deswegen steht im Programm der Pianist auch an erster Stelle. Mit Bravour und Souveränität widmeten sich die beiden Musiker ideenreich und differenziert den wechselnden Motiven, jedem Einsatz und jedem Übergang dieser hoch virtuosen Sonate. Im gesanglichen 2. Satz scheint vielleicht eine leichte Melancholie des Komponisten durch, lagen doch die die „seligen Augenblicke“ mit dem „lieben zauberischen Mädchen“ schon einige Monate zurück. Mit unbeschwerter Virtuosität, rasenden Sechzehntelketten perlt schwung- und humorvoll rondoartig der letzte Satz mit erstaunlicher Akkuratesse und Delikatesse vorüber. Nach Tonartwechsel und Generalpause stürmt schnell das Ende herbei. Die heitere Stimmung dieser Musik läßt die traurige, depressive, nahezu suizidale Stimmung des Komponisten infolge seiner zunehmenden Schwerhörigkeit nicht ahnen. Das berühmte Heiligenstädter Testament desselben Jahres zeugt davon. Heilkräuter-, Öl- und andere Einspritzungen in die Ohren durch den Naturheilkundler Pater Weiß halfen damals auch nicht. Sein Allgemeinbefinden war zu der Zeit zusätzlich beeinträchtigt bei Durchfällen und Bauchbeschwerden. Bäder und Trinkkuren (tagsüber mit gesundem, gutem Brunnenwasser, abends meist mit Alkohol) brachten allenfalls vorübergehende Linderung.
 
Die Violinsonate A-Dur op. 47 („Kreutzer“) von Ludwig van Beethoven wurde erstmalig am 9.Mai 1803 nachmittags im Wiener Augarten gespielt. Das Konzert war auf Antrag des britischen Geigers George Bridgetower ordentlich polizeilich beantragt und genehmigt worden. Der Virtuose besuchte damals Wien, hatte als exzentrischer Hansdampf alle musikalisch wichtigen Menschen dort getroffen, mit dem 33-jährigen Ludwig Kaffee getrunken, gefrühstückt und ihn überredet, eine Violinsonate zu schreiben. Endgültig gewidmet wurde sie dann aber dem „tüchtigen“ französischen Geiger Rodolpho Kreutzer, den Beethoven persönlich wie musikalisch noch mehr schätzte. In großem Ernst beginnt die Violine mit der Adagio-Einleitung, aus deren Motiv sich – attacca - das Hauptthema des anschließenden Prestos entwickelt. Pizzicato, geisterhaftes Stakkato, im Takt verschobene Sforzati unterbrechen bzw. bestimmen den musikalischen Fluß. Hier emanzipiert sich die Geige, ist inzwischen alles andere als eine dem Klavier hinzugefügte Violinstimme wie bei Mozart. Das temperamentvoll virtuose Spiel begeisterte die Zuhörer aber nicht alle Bogenhaare hielten es aus. Der Mittelsatz mit seinen gesanglichen Variationen im Dreivierteltakt gilt als Beispiel der großen Variationskompositionen Beethovens. Das Thema wird zunächst vom Klavier allein angestimmt, bevor die Violine mit 3-fachen Repetitionen der Töne, dann mit Pizzicato, in Triolen und mit Trillern variiert. In der bekannt vorzüglichen Akustik des voll besetzten Großen Saals der Historischen Stadthalle Wuppertal musizierten die beiden mit subtiler Agogik und Dynamik, wobei sich der Geigenton stellenweise dem Klang des großen Steinway-Flügels vollständig untermischte. Frank Peter Zimmerman spielt jetzt wieder die ehemals Fritz Kreisler gehörende Stradivari Lady Inchiquin von 1711, die ihm von der Stiftung Westdeutsche Landesbank zur Verfügung gestellt worden war. Nachdem die Bank pleiteging und abgewickelt wurde, mußte er seine geliebte Geige, die einst Fritz Kreisler gespielt hatte, zurückgeben. Abkaufen konnte er den Nachfolgern der Bank die Geige nicht. Die wollten 5,8 Millionen € bzw. knapp 7 Millionen inklusive Mehrwertsteuer dafür haben. Inzwischen spielt er sie aber wieder. Das Land NRW hat Teile des Vermögens der ehemaligen WestLB zurückbekommen und stellt dieses berühmte Instrument dem berühmten Virtuosen wieder zur Verfügung. Nach überraschendem Eingangsakkord jagte Zimmermann auf der von ihm so geliebten Lady Inchiquin durch den 3. Satz
 
Erstaunlich die Ausstrahlung der Kreutzer-Sonate in die Zukunft. Ca. 75 Jahre nach der Uraufführung schrieb Tolstoi seine berühmte Novelle gleichen Namens, in der die Pianistin wegen des Spiels dieser Sonate mit ihrem Geiger aus Eifersucht umgebracht wurde. Leo Janacek griff auf die Novelle Tolstois zurück komponierte ein Klaviertrio (verloren gegangen) und auch sein 1. Streichquartett mit gleichem Namen.
 
Nach der Pause folgte die 10. Sonate in G-Dur Op. 96 Sie entstand 1812, in welchem Jahr Beethovens Psyche sich ähnlich katastrophal entwickelte wie 1802. Eine stabile Beziehung mit seiner unsterblichen Geliebten, deren Identität bis heute nicht eindeutig geklärt ist, gelang nicht. Quälende Kopfschmerzen drückten. Für sein Sexualleben besuchte Beethoven Prostituierte, obwohl er den „sinnlichen Genuß ohne Vereinigung als viehisch“ empfand und anschießend immer „Reue“. Ob er ernsthaft Gift nehmen wollte um sein trostloses Leben zu beenden? Das alles muß man nicht wissen, wenn man seine Sonate Nr. 10 anhört. Sie wurde nicht im Augarten uraufgeführt, sondern im Palais des Fürsten Lobkowitz. Erzherzog Rudolph, ein Bruder des Kaisers, spielte Klavier und der französische Geigenvirtuosen Pierre Rode die Violine. Der eingeladene Kritiker meinte, „daß der Klavierpart weit vorzüglicher, dem Geiste des Stücks mehr anpassend, und mit mehr Seele vorgetragen ward, als jener der Violine. Dieses Urteil traf auf das Konzert jetzt in Wuppertal nicht zu. Schon der 1. Satz beginnt mit einem auffälligen Vogeltriller zu Beginn, wirkt als Allegro moderato nachdenklicher, weniger stürmisch, lebt nicht von der Virtuosität. Das choralartige Thema des 2. Satzes (Adagio espressivo) wird abgelöst von einem Nebenthema. Hier hörte man Pianissimi, bei denen die Zeit still zu stehen schien, die in ihrer Zartheit die Zuhörer in den Bann schlugen. Plötzlich entwickelt sich mit aufregenden Subito forte Schlägen das Scherzo, in dessen Mitte sich die Violine in hohe und höchste Lagen begibt. Wunderbar läßt hier Frank Peter Zimmermann seine Stradivari erklingen. Der letzte Satz als Poco allegretto melodiös, eher verhalten, war dem Violinisten der Erstaufführung geschuldet, der virtuose Passagen so recht nicht mochte. Beethoven schien auch nicht ganz zufrieden mit sich, wenn er dem Erzherzog schrieb: „Wir haben in unsern Finales gern rauschendere Passagen, doch sagt dies Rode nicht zu und – genierte mich doch etwas.“ Hier beeindrucken also nicht stürmische Jugend und sensationelle Virtuosität. Hier musizieren zwei miteinander und lassen uns teilhaben an ihrer Musik, mit der sie Geist und Seele in Schwingungen versetzen. Tosender Applaus, Bravi, Ovationen führten einer Zugabe, zum hoch romantischen langsamen Satz aus der d-Moll Violinsonate von Johannes Brahms. Ein großer Kammermusikabend ging zu Ende.
 
Redktion: Frank Becker