Ein Höllenritt

Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ in einer Inszenierung von Stefanie Smailes

von Frank Becker

v.l.: André Klem, Christian Minwegen, Beate Rüter, Yasemin Peken - Foto © Martin Mazur

Ein Höllenritt
 
Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“
in einer Inszenierung von Stefanie Smailes
Deutsche Fassung von Pinkas Braun
 
Regie: Stefanie Smailes – Bühne: Jan Bauerdick & Benedikt Fiebig - Kostüme: Mariola Kopczynski
Besetzung: André Klem (George) – Beate Rüter (Martha) – Christian Minwegen (Nick) – Yasemin Peken (Putzi)
 
Nichts für schwache Nerven schreibt das Wuppertaler TiC-Theater zu Edward Albees Beziehungsdrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, das vor einer Woche dort seine Premiere erlebte. Ein starkes Debüt für Regisseurin Stefanie Smailes und die beiden jungen Darsteller Yasemin Peken und Christian Minwegen.
Albees aufwühlendes Ehedrama ist einer der meistgespielten Klassiker des modernen Theaters geworden, seit es 1962 seine Uraufführung hatte. Die Verfilmung 1966 von Mike Nichols mit Elizabeth Taylor, Richard Burton, George Segal und Sandy Dennis war so grandios, wurde zu einem cineastischen Solitär, daß sich bis auf den Tag kein weiterer Kino-Regisseur an den Stoff gewagt hat.
Auf deutschen Bühnen hat die geniale Übersetzung von Pinkas Braun Furore gemacht, die nun auch die Basis für die (wesentlich gekürzte, das amerikanische Original dauert 3½ Stunden!) Fassung des TiC-Theaters war. Stefanie Smailes tat gut daran, das Stück bis auf seinen Kern einzudampfen, denn ein Höllenritt blieb es allemal. „Kann man die Verrottung der Gesellschaft, meinethalben des Establishments, krasser darstellen als es Albee getan hat?“, fragt Curt Riess 1970, und C. Bernd Sucher beschreibt es als „die Wut über diese sinnlosen Kämpfe (..) die Trauer über ein traurig-leeres Leben“.


Solo für André Klem - Foto © Martin Mazur

All das hatte die mit zwei erfahrenen Schauspielern, André Klem und Beate Rüter und mit den zwei Rookies Yasemin Peken und Christian Minwegen besetzte Inszenierung in den drei Akten „Gesellschaftsspiele”, „Walpurgisnacht” und „Austreibung” umzusetzen.
George und Martha - der Geschichtsprofessor und seine Frau - sind gerade von einer Party bei Marthas Vater, dem College-Dekan, nach Hause gekommen, als es an der Tür klingelt. Martha hat noch zwei späte Gäste eingeladen: den jungen, aufstrebenden Biologieprofessor Nick und seine wenig trinkfeste Frau Putzi. Und trinkfest muß man sein, wenn man George und Martha besucht.


v.l.: Christian Minwegen, André Klem - Foto © Martin Mazur

Vom ersten Wortwechsel des ungleichen Ehepaares George, einem in seiner Position ehrgeizlos gefangenen Historikers und Martha, der einige Jahre älteren, gesellschaftlich und sexuell frustrierten Tochter des Dekans an werden wir ohne Chance auf Entkommen in die verbalen Scharmützel, die sich zur Schlacht ausweiten, hineingesogen. Als Zeuge der schrecklichen Zermürbung zweier Verlorener möchte man gelegentlich aufgeben, doch die Faszination, die Explosivität dieses gegenseitigen Zerfleischens hält dank der unerhörten Leistung Klems und Rüters fest. Klem beherrscht die Bühne. Virtuos. Gewaltig. Seine Figur George ist als einzige unablässig in Bewegung, schafft Hochprozentiges heran, schwadroniert, ätzt, monologisiert, streitet. Eher statisch sind die anderen, Martha in abrupten Gemütsschwankungen und die beiden Gäste, von denen man anfangs glauben möchte, daß sie sich nur im Kielwasser, im Windschatten der beiden anderen bewegen. Dann aber brechen sie ihre zahme Schale auf und stürmen förmlich in die erste Reihe.
Mariola Kopczynski hat entsprechend der Idee der Regisseurin, die Personen durch ihr Äußeres zu charakterisieren, den Rollen Kostüme angepasst: George gelassen, lediglich mit Clownsnase zum englischen Tweed, Martha mit Hexengewand zum furiosen Auftritt, Nick tritt im muskelbepackten Superman-Dress auf und Putzi als piepsige Minnie Maus (übrigens pünktlich zum 90. Geburtstag der Comic-Figur aus den Disney-Studios.


André Klem, Yasemin Peken - Foto © Martin Mazur

Sämtliche moralischen Hüllen und Rücksichten fallen während des hier gute zwei Stunden dauernden Gemetzels, in dem peinliche Intimitäten ausgekotzt, Ehe, Liebe, Ehrenhaftigkeit und Anstand in die Abgründe ihrer scheinbürgerlichen Existenz gestürzt werden. Alle vier Darsteller müssen sich aufs Elementarste entäußern – und tun es mit Verve. Auf der Walstatt bleiben sämtliche Illusionen zerschlagen zurück. André Klem, Beate Rüter, Christian Minwegen und Yasemin Peken gebührt Hochachtung für diesen Seelen-Striptease – und Stefanie Smailes Anerkennung für die gelungene Inszenierung.
 
Weitere Informationen:  www.tic-theater.de