Ein Hymnus auf das echte XXXL

Dian Hanson – „The Little Big Book of Breasts“

von Frank Becker


Als Silikon nur in Fensterfugen geschmiert wurde
 
Ein Hymnus auf das echte XXXL
 
Ein großer Busen ist wie ein Kompaß,
der immer Richtung Irrsin zeigt.
Annika Line Trost

Daß die weibliche Brust, zumal die üppige, wohlgeformte, seit Menschengedenken eine Freude fürs Auge, ein Objekt geheimen Wünschens, des heißen Begehrens, ja der wilden Lust und ein treffliches Symbol für Weiblichkeit ist, belegen künstlerische Darstellungen von der 30.000 Jahre alten Venus von Willendorf an über die Wolkenmädchen von Sigiriya aus dem 5. Jahrhundert bis hin zu Bildbänden mit eindrucksvoller Aktfotografie wie z.B. von Ralph Gibson und Ausstellungen in der Jetztzeit. Wie erklärt man diese anhaltende Faszination, mal ganz abgesehen von der Brust als Ernährungsquelle, wieso sind es nicht nur Männer, wenn auch überwiegend diese, die beim Anblick eines großen Busens ins Schwärmen kommen und warum können Inhaberinnen beachtlicher Oberweite im reinsten Wortsinn so erfolgreich mit ihren Pfunden wuchern? Wir begeben uns, angeregt durch Dian Hansons üppiges (sic!) Buch „The Little Big Book of Breasts - The Golden Age of Natural Curves“, bei der Suche nach Antworten heute auf ein weites, hügeliges Feld.

 

 
Wir haben das Thema schon einige Male und auch durchaus gerne in Ausstellungs- und Buchbesprechungen, in Bildern und Cartoons berührt oder gestreift, denn Dian Hanson ist nicht die erste, die sich dazu äußert, denken wir nur an Yvonne Kuschel, Annika Line Trost, Florence Williams  oder Paula Lambert. Fällt Ihnen etwas an der Namensliste auf? Alles Damen. Hanson allerdings tut das dank der Aufgeschlossenheit des Taschen Verlags besonders explizit, ohne Scham und Prüderie und ohne Sorge vor Zensur oder falscher „Korrektheit“. Was Facebook panisch sofort von seinen Seiten tilgen würde, nimmt hier die Plätze in der ersten Reihe ein: Brüste, die großen, die üppigen, die gewaltigen.
Speziell den Amerikanern mit ihrer Mutterfixierung sagt man nach, besessen von riesigen Brüsten zu sein, heißt es im Klappentext des Verlages, und weiter: aber tatsächlich lassen sich wohl Männer in aller Welt vom Anblick einer großen, prallen Brust hypnotisieren. So ist es wohl auch und kann unwidersprochen stehen bleiben. Und da wir grade von Männern sprechen, die haben sich vom Hohelied Salomos an über das Barockzeitalter mit Heinrich Mühlpfort oder Celander und bis ins 21. Jahrhundert natürlich ebenfalls mit diesem wahrlich raumgreifenden Phänomen befaßt, denken wir nur an Heinrich Kley, Philip Roth, Ernst Fuchs, Jules Stauber, Victor Auburtin oder Roland Topor.


Heinrich Kley pinx.

 
Erstens habe ich Brüste.
Zweitens habe ich viel über die zu erzählen.
Annika Line Trost
 
Eines noch, meine Herren: Wenn Sie zu dem erwähnten voluminösen Bildband der früheren amerikanischen Herausgeberin von Sex- und Pornographie-Magazinen, Sammlerin einschlägiger Publikationen und seit 2001 Redakteurin und Herausgeberin für erotische Bildbände des Kölner Taschen Verlags greifen, versäumen Sie bitte nicht, neben allem Ergötzen die eloquenten Texte der branchenerfahrenen Dame zu lesen, die sie den jeweils themen- oder personenbezogenen Kapiteln voranstellt. Amüsant und aufschlußreich führt Dian Hanson in die Welt von Pinup und Pikanterie, von Burlesque und Busenkino, Möpsen und Magazinen ein. 
Sie nutzt Bilder aus Zeitschriften und Magazinen wie Art Group, Sex Monthly, Spot, Frolic, Burlesque, Gala, Kamera, fling, caper, Girl Watcher, Gent, Bust Out oder Oui als Quelle und Inspiration für ihre vergnügliche Busenschau und geht äußerst liebenswürdig mit den Damen um, die dort wie im Buch ihre wohlgefüllte Haut zu Markte tragen.


© Jules Stauber - Veröffentlichung der Illustration in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber.

 
Was nicht da ist, kann später nicht hängen.
Yvonne Kuschel
 
 
In The Little Big Book of Breasts spürt Dian Hanson mit einer z.T. erlesenen Auswahl an Fotografien vor allem der 1950er bis 1980er Jahre den Ursprüngen dieser Tittentollheit (was für eine Wortschöpfung!) nach. Angefangen mit der US-Busenmanie des Zweiten Weltkriegs, die Russ Meyers besessenes Filmschaffen, Jane Russells Wunderbusen, Hugh Hefners Playboy Magazine und Frederick’s of Hollywood mit seinen Pinups in ihrem Kielwasser hatte, führt Dian Hanson den geneigten bis wagemutigen Betrachter über, um und zwischen die gefährlichen Kurven berühmt-berüchtigter Models wie Jayne Mansfield, Ann Austin, Laine Carlin, Sabrina, Barbara Valentin, Joan Bradshaw, Dolly Reed, Laura Lynnwood, Honey Bee, Virginia Bell, Joan Brinkman, Lorraine Burnett, Lisa De Leeuw, Uschi Digard, Jennie Lee, Sylvia McFarland, Margaret Middleton, Paula Page, Lillian Parker, June Palmer, Roberta Pedon, Rosina Revelle, Carol Bardener, Linda West, June Wilkinson, Julie Wills, Mary Waters, Kirsten Anderson, Joyce Mandel, Joyce Spaeth – um nur einige zu nennen - und vieler anderer, auch durchaus zauberhafter Unbekannter. 

 

 
Sylvie hatte eine Schwäche für Corsagenkleider. (…)
Die Brüste lagen wie in einem Boot beieinander
und schaukelten gemütlich hin und her (…).
Yvonne Kuschel
 
Den Ikonen Candy Barr, Uschi Digard, Tempest Storm (der arte am vergangenen Sonntag zum 90. Geburtstag eine Dokumentation gewidmet hat), June Wilkinson, Michelle Angelo, Candy Samples, Kitten Natividad und Candye Kane sind ausführliche eigene Kapitel gewidmet. Das Schluß-Kapitelchen, wir wollen das nicht verschweigen, widmet sich Guinness-Weltrekord(büsten)halterin Norma Stitz mit den größten natürlichen Brüsten der Welt. Hier jedoch, meine Damen und Herren endet des Sängers Hymne, denn was zu viel ist, ist zuviel.  
 
Diese neue tragbare, erschwingliche und rückenfreundliche Ausgabe enthält alle provokanten Fotos des früheren großformatigen Bandes sowie die neun Original-Interviews, darunter Gespräche mit Tempest Storm und Russ Meyers unangefochtenem Star Uschi Digard sowie das letzte Interview mit der Busen-Ikone Candy Barr vor ihrem frühen Tod 2005. In einer Welt, in der heute Silikon die Busen-Norm ist, standen diese Frauen dafür, daß es die Natur doch am besten kann. Silikon schmierte man damals nur in Fensterfugen und Duschkabinen.
Das Buch tritt mit ca. 450 Bildern in Farbe und Schwarz/Weiß den Beweis dafür an und der Verlag meint: Süßer die Glocken nie klingen: Auf dem Bauch schläft hier niemand.
Die Musenblätter-Redaktion, die das Buch reinen Herzens empfiehlt, sich aber mit Bedauern (s.o.) vom Kapitel Norma Stitz distanziert, wünscht viel Vergnügen.
 
 
The little big book of breasts - Caren Castro

Der Tod ist ein Ort ohne Brüste.
Paula Lambert
Dian Hanson – „The Little Big Book of Breasts“
The Golden Age of Natural Curves
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch € 20

The Fifties
© 2018 Taschen Verlag, 488 Seiten, Hardcover im Schuber, 19,5 x 19,5 cm, ca. 450 farbige und s/w-Illustrationen
ISBN 978-3-8365-5571-5
20,- €
Weitere Informationen:  www.taschen.com
 
Zum Nach-Lesen:
Yvonne Kuschel: Busenwunder  
Paula Lambert / Helmut Ziegler: Brüste – Das Buch