Lessings „Nathan“ im Jerusalem von heute

Das Münchner a.gon Theater zeigt „Nathan der Weise“

von Daniel Diekhans

Peter Kremer - Foto © Marina Maisel

Lessing-Inszenierung holt das Jerusalem von heute auf die Bühne
 
Das Münchner a.gon Theater zeigt den „Nathan“
„Nathan der Weise“ - Schauspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing

Inszenierung: Stefan Zimmermann - Bühnenbild: Peter Schultze - Kostüme: Sybille Gänßlen-Zeit und Jana Müller - Sounddesign: Thomas Hüttl - Fotos: Marina Maisel
Besetzung: Peter Kremer (Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem) - Michel Guillaume (Sultan Saladin) - Heike Ternes (Sittah, dessen Schwester) - Laura Antonella Rauch (Recha, Nathans angenommene Tochter) - Angelika Auer (Daja, eine Christin, Gesellschafterin der Recha) - Georg Luibl (Ein Derwisch/ Der Patriarch von Jerusalem) - Christian Buse (Ein Klosterbruder)
 
Fernsehstar beeindruckt als Bühnenheld
 
Früher hat Peter Kremer in „Tatort“, „Derrick“ und „Siska“ mitgespielt. Inzwischen fühlt sich der Schauspieler, der seine Ausbildung an der Folkwangschule in Essen erhielt, wieder auf Theaterbühnen heimisch. Ein schöner Beweis dafür ist „Nathan der Weise“, Kremers erste Zusammenarbeit mit dem Münchner „a.gon Theater“. Beim Gastspiel im Remscheider Teo Otto Theater brachte Kremer Lessings Bühnenhelden ungewohnt leicht über die Rampe. Seinen Nathan zeichnet ein sympathisch-verschmitztes Lächeln aus. Voller Empathie wandte er sich seinen Mitspielern und dem Publikum zu, strahlte innere Ruhe und Kraft aus.


Laura Antonella Rauch, Peter Kremer - Foto © Marina Maisel

 
Dabei nimmt Regisseur Stefan Zimmermann die Fragen, die das 1779 veröffentlichte Stück aufwirft, nicht weniger ernst als seine Vorgänger. Wie sollen Angehörige verschiedener Religionen miteinander umgehen? Warum ist ein friedliches Miteinander der Religionen so schwer? Wo beginnt der Fanatismus, der Fundamentalismus?
Für Zimmermann sind diese Fragen aktueller denn je. Deshalb hat er die Handlung vom mittelalterlichen ins heutige Jerusalem verlegt. Die Mauerkulisse, vor denen die Schauspieler auftraten, könnte man sich in einer Altstadtgasse vorstellen. Arabische Musik, Marktgeschrei und der Gebetsruf des Muezzin erklangen – teilweise Originalaufnahmen aus Jerusalem. Manchmal überdeckte der Geräuschteppich Lessings feinsinnige Dialoge. Dennoch fing der Soundtrack die Atmosphäre einer Stadt ein, in der die Spannungen zwischen Juden, Muslimen und Christen andauern und sich in der Feindschaft von Israelis und Palästinensern manifestieren.
 
Klug ging Zimmermann auch mit der berühmten Ringparabel um, auf die „Nathan der Weise“ gern reduziert wird. Seine Inszenierung betonte gerade die Schwierigkeiten, das „Geschichtchen“ vom möglichen Ende der religiösen Konflikte zu erzählen. Im Gespräch mit dem Autokraten von Jerusalem, Sultan Saladin, kam Nathan mächtig ins Schwitzen und gewann erst im Laufe der Erzählung seine Souveränität zurück. Aufschlußreicher noch war das Gespräch mit dem Klosterbruder. Darin erinnerte Nathan an seine von Christen ermordete Familie, und Kremer zeigte in diesem Moment einen zutiefst verletzten Menschen. Diese Szene offenbarte, daß Nathans Toleranz keineswegs natürlich ist, sondern Ergebnis eines langen, schmerzhaften Prozesses.
 

Michel Guillaume, Peter Kremer, Statist - Foto © Marina Maisel

Wie Hauptdarsteller Peter Kremer zeigte auch das übrige Ensemble mitreißende Schauspielkunst. Glaubwürdig wandelte sich Michel Guillaumes Saladin vom offenen Antisemiten zum echten Freund Nathans. Alexander Mattheis brachte die Wankelmütigkeit des jungen Tempelherrn auf den Punkt. Auch Angelika Auer verkörperte überzeugend den gemischten Charakter der Daja. Nathans Tochter Recha verzweifelte fast an ihrer „guten, bösen“ Erzieherin. Schade, daß die Stimme von Darstellerin Laura Antonella Rauch oft nicht zum Publikum durchdrang. Viel Spaß dagegen machte Heike Ternes als Sittha, die machtbewußte Schwester des Saladin. In der Doppelrolle als Derwisch und Patriarch gelang Georg Luibl der Spagat zwischen Sympathieträger und Fiesling. Als Klosterbruder hatte Christian Buse eine kleine, aber beeindruckende Partie.
 
Weitere Informationen: https://a-gon.de/nathan-der-weise-2
 
Daniel Diekhans