Das Paradies

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Das Paradies
 
Wenn es denn ein „Paradies“ geben sollte, können wir es uns nicht vorstellen. Zu Weihnachten soll es ja ganz nahe herankommen. Hätten wir eine Vorstellung davon, so wäre es sicher keines.
Aber nun können wir eigentlich nur in Bildern denken. Manchmal steigt die Ahnung eines Gefühls für „das da drüben“ in mir auf, und die wird zu einem Bild – (also doch!):
Ich ahne das unheimliche, unwirkliche Lebensgefühl eines Menschen, der am sehr frühen Morgen den Hafen eines Fischerstädtchens an der Atlantikküste betritt.
Die Morgensonne überglänzt es bereits, der Seewind umschmeichelt sein Gesicht. So einen Augenblick habe ich erlebt, viele andere sicher auch.
Kein Mensch ist zu sehen. Noch nie war der Mann so allein, noch nie so ohne Macht. Er hat den vertrauten Boden nicht mehr unter sich, seinen Halt findet er nur im Vorwärts-Gleiten. Was immer er tun würde, es wäre, als wenn er mit der Faust in einen Wattebausch schlüge.
Wie eine geduldige Herde drängen sich die Boote und Yachten am Kai zusammen, sie schaukeln in der Dünung. Am Horizont endet der schimmernde Ozean, der doch unendlich ist. Es herrscht überirdische Stille, in der sich nichts ereignet und alles geschieht.
Der Mensch ahnt, daß ein Schiff für ihn kommt, das ihn an Bord nehmen wird.
Etwas Ungeheures wird geschehen.
 
Pastor Fröhmelt schrieb dazu:
„Ein Neunzigjähriger verriet mir einmal sein Geheimnis: „Ich bin neugierig auf das, was noch kommt“ - das sagte er im Blick auf sein Ende - von diesem Ende bezeugte Dietrich Bonhoeffer, auf dem Wege zum Galgen in Flossenbürg, am 9. April 1945, verbürgt: „Das ist das Ende, zugleich ein neuer Anfang.“ ( im Angesicht Gottes ).
Der Tod ist nicht das Ende, was viele leider glauben, der Tod ist der notwendige Anfang einer Verwandlung in ein neues Leben, der Tod ist wie ein zweites Mal geboren werden, das tut immer weh unter ( Trauer-) Schmerzen, weil es durch die Enge (Angus/Enge = Angst) des Geburtskanals geht, aber es wartet das Licht des Lebens. Wer vorzeitig die Hoffnung aufgibt, darf sich nicht wundern, daß der Bildschirm dunkel bleibt. Das Wort „Paradies“ kommt übrigens aus dem Farsi, der persischen Sprache, und meint dort einen großen, herrlich gedeihenden Garten - darum sind persische Gartenanlagen, in Isfahan oder Shiraz, noch heute paradiesische Zeugen.“
 
 
© Karl Otto Mühl 2014