Habsburg skandalös

Arno Spreitzhofer – „Luxus, Laster, Leidenschaft“

von Renate Wagner

Habsburg skandalös
 
Autor Arno Spreitzhofer, studierter Germanist und Historiker, ist im Brotberuf Lehrer, und er schafft es zweifellos, seine Schüler ebenso zu interessieren wie seine Leser. Sich auf die Skandale der k.u.k. Monarchie zu besinnen, ist nicht neu – sie aber gewissermaßen soziologisch aufzubereiten, macht Sinn. Sich zu fragen, wie die Dinge, die eine Gesellschaft erregen, selbst reflektierend auf diese zurückfallen.
Und da hat der Autor 25 Beispiele aus den Jahren 1870 bis 1917 zu bieten. Indem er sie chronologisch behandelt, gibt es immer wieder Fälle zu ähnlichen Themen. Am Ende hat der Leser einen guten Eindruck über eine zerbröckelnde Epoche. Die Erkenntnis dieser mehr als 25 Jahre – es ist nicht aufzuhalten, daß die Zeiten sich ändern.
 
     Eines der wichtigsten Beispiele stammt aus dem Jahr 1901 und bezieht sich auf den Skandal, den Arthur Schnitzlers Novelle „Leutnant Gustl“ hervorrief. Darin verletzte der Autor – selbst Offizier der Reserve – den militärischen Ehrenkodex auf das Schlimmste. Nicht nur, indem er einen durch und durch dümmlichen Leutnant in einem inneren Monolog seine ganze geistige Schlichtheit offenbaren ließ. Sondern auch, indem er Duelle und Duellzwang in Frage stellte. Er hat das Thema in seinem Werk immer wieder behandelt – und selbst die Verachtung der Gesellschaft auf sich genommen, indem er sich ihrem Kodex verweigerte. Ein Jahrzehnt später hob Kaiser Franz Joseph den Duellzwang auf, der bis dahin wie ein Damoklesschwert über den Herren der besseren Gesellschaft hing – die sich für jede Beleidigung zu „schlagen“ hatten und dabei ihr Leben riskieren mußten… sonst wären sie in ihren Kreisen erledigt gewesen. Man muß sich das in seinem vollen Ausmaß vorstellen.
Ausgangspunkt für Skandale konnte nicht nur im Fall Schnitzlers die Literatur sein (der Autor dieses Buches konnte den „Reigen“-Skandal nicht mehr aufnehmen, da er sich erst in den Zwanziger Jahren abspielte, als das Stück auf die Bühne kam) – gebeutelt hat Leopold von Sacher-Masoch seine Mitwelt, als er ihr in „Venus im Pelz“ zwischen Buchseiten vorführte, was vermutlich in jedem Bordell stattfand – prügeln und geprügelt werden. Die Empörung einer Gesellschaft, deren Doppelmoral evident war (Männer durften grundsätzlich alles, Frauen der guten Gesellschaft nichts), war lautstark.
     Nun waren die Damen nicht immer Unschuldslämmer – nicht die Schauspielerin Helene Odilon, die ihren Gatten, den berühmten Alexander Girardi, so dringend los werden wollte, daß sie Anstalten machte, ihn ins Narrenhaus zu bringen, und nicht so manche Hochstaplerin, die ihren unschuldsvollen Gemahl in Unglück und Selbstmord trieb.
Beispiele des Hauses Habsburg machten klar, daß auch in einem straff geführten Staat eine Skandalpresse (man las das „Interessante Blatt“!) dafür sorgte, daß die Erzherzoglichen Mitglieder mit ihren Exzessen nicht davon kamen – was Erzherzog Otto sich leistete (sein einziges Verdienst im Leben bestand darin, der Vater eines Sohnes zu sein, aus dem Kaiser Karl wurde), wurde sogar triefend im Reichsrat besprochen, und daß Erzherzog Ludwig Viktor nach Salzburg verbannt wurde, weil er homosexuell war, erwies sich als Gnadenakt seines Bruders, Kaiser Franz Joseph: Denn Herren mit weniger guten Verbindungen konnten bei gleichen Gelüsten im Gefängnis landen.
 
     Schlechtes Benehmen, das skandalös war, konnte man bei Herren in der Politik wahrnehmen, vor allem bei so berüchtigten Gestalten wie Georg Ritter von Schönerer, Hermann Bielohlawek oder Adalbert Graf Sternberg, anders berüchtigt wurden Vorreiter von Nuditäten (Wilhelm Diefenbach, Adorée Villany). Und auch harmlose Anläufe der Frauenemanzipation (wie ein Hosenrock!) konnten die Gesellschaft schrecken. In diesem Zusammenhang hat der Autor auch ein frühes „#Metoo“-Gustostückerl gefunden – 1917 warf man dem damaligen Direktor des Deutschen Volkstheaters, Karl Wallner, dieselben Übergriffe und denselben Machtmißbrauch vor, wie es heute auch vorzukommen mag, und der Fall landete sogar vor Gericht.
     Und daß es in der österreichischen Monarchie (und nicht nur dort) immer schon Kinderschänder gegeben hat (berüchtigt war diesbezüglich
das „Biedermeier“), ist fraglos, und so berühmte Herren wie Adolf Loos haben sich diesbezüglich beschmutzt – in einer Welt, wo ununterbrochen auch Pornofotos weiblicher und männlicher Art unter der Hand gehandelt wurden. Der „Fall Riehl“ ist besonders bedrückend, was die sexuelle „Unterwelt“ betraf, weil er die Zustände in einem Freudenhaus aufdeckte – und man kann sich vorstellen, daß auch heute noch unglückliche Frauen aus dem Ostblock ähnlich herbeigeschafft, kaserniert, schandbar behandelt und ausgebeutet werden.
     Und schließlich gibt es auch die ganz üblichen „Skandale“, die sich um windige Figuren und Hochstapler ranken, die es immer gibt, um Familientragödien (Otto Gross) oder um Mord und Totschlag in der Beziehungswelt –  was weniger interessant, weil allzu üblich ist. Aber im Großen und Ganzen zeigt der Autor, was die Habsburger Monarchie in ihrem letzten Vierteljahrhundert umtrieb und wie die Brüche im System immer stärker wurden. Bis zum unaufhaltsamen Untergang.
 
Besonders reizvoll ist die Illustration des Bandes mit alten Fotos und vor allem Zeichnungen und Karikaturen, die das Flair der Zeit vermitteln.
 
Arno Spreitzhofer – „Luxus, Laster, Leidenschaft“
Seitenblicke auf die k.u.k. Gesellschaft
2018 Molden Verlag, 192 Seiten, Hardcover - ISBN 978-3-222-15025-8
€ 25,00
Weitere Informationen: www.styriabooks.at/