Gefangen zwischen Musik und Borderline

„4 Minuten“ - von Chris Kraus

von Johannes Vesper

„4 Minuten“
 
Drehbuch u. Regie: Chris Kraus
 
Mit: Monika Bleibtreu (spielte u.a. in Tom Tykwers „Lola rennt“ zusammen mit ihrem Sohn und stellte Katja Mann in Heinrich Breloers Film über die Familie Mann dar.)
Hanna Hertzsprung (wurde 1981 geboren und beim Casting unter 1200 Bewerberinnen ausgewählt. Ihr Filmdebut gab sie in der Familienserie „Aus heiterem Himmel“ 1997/98)
Weitere Darsteller: Jasmin Tabatabai, Nadja Uhl, Sven Pippig, Richie Müller, Vadim Glowna, Stefan Kurt
 
Seit Jahrzehnten gibt Traude Krüger Musik-Unterricht im Frauengefängnis. Dort trifft sie auf die 19-jährige Jenny, die als Kind einmal sehr gut Klavier gespielt hat, mit 12 Jahren von ihrem Vater mißbraucht und als junge Frau wegen eines Mordes verurteilt wurde. Im Gefängnis lebt sie ihre zur Gewalttätigkeit neigende gestörte Persönlichkeit aus, indem sie u.a. ihren Wächter krankenhausreif schlägt.
Die Aggressionen unter den gefangenen Frauen, die Hilflosigkeit der Justizvollzugbeamten, welche die eruptiven Ausbrüche der Strafgefangenen Jenny mit Fixierung zu bewältigen versuchen, kurz: die bedrückende Atmosphäre einer Strafanstalt wird in beklemmender Weise dargestellt. Das alte Gefängnis in Luckau/Brandenburg bildet dafür die triste Kulisse.
Traude Krüger läßt ihren eigenen Flügel von Männern der Arbeitslosenhilfe in das Gefängnis bringen und beginnt Jenny Klavierunterrricht zu geben. Die ständige Auseinandersetzung zwischen den beiden geht tief unter die Haut.
Mozart, Schumann und Schubert reichen Jenny nicht. Sie muß sich selbst in ihrer eigenen Musik finden und verwirklichen. Immer wieder bricht sie aus dem Kontext der klassischen Klaviermusik aus, was die konservative Klavierlehrerin als „Negermusik“ abtut. Ihr dennoch bleibender Einfluss auf Jenny als Folge überlegener Konsequenz und Gradlinigkeit fasziniert. Je mehr die beiden übereinander und ihre Vergangenheit erfahren, und je mehr der Zuschauer seinerseits von den tragischen Lebenswegen der beiden erfährt, desto intensiver erlebt er den ungeheuren, vielschichtigen Konflikt, zu dessen Lösung endlich vier Minuten Musik reichen.
„Das Wilde, Kraftvolle, auch Unerklärliche, das jedem Kern einer künstlerischen Anstrengung innewohnt“, ist das Thema dieses psychologisch subtilen und außerordentlich spannenden Films über eine Künstlerin, die viel kann aber nicht will. Oft ist es ja umgekehrt.
Im Abspann findet sich die Widmung: „Für Gertrud Krüger 1917-2004“. Der Drehbuchautor und Regisseur gibt an, daß er selbst durch diese „strenge, preußische, unvorstellbar hemdsärmelige alte Dame“ zur Kunst gefunden habe. Sie war Leiterin einer Wohngruppe in dem Internat, in welchem der Regisseur acht Jahre als Schüler verbracht hat.
„4 Minuten“ wurde im Juni 2006 in Shanghai uraufgeführt und wurde als bester Film dieses internationalen Filmfestivals ausgezeichnet. Inzwischen erhielt er weitere Filmpreise und schon vor Drehbeginn den Staatspreis Baden-Württemberg 2004 für das beste Drehbuch.
 
Musik: Annette Focks - Kamera: Judith Kaufmann - Filmtonmeister: Andreas Ruft - Szenenbild: Silke Buhr - Sound Design: Robin Pohle – Schnitt: Uta Schmidt
Eine Co-Produktion von Kordes & Kordes mit arte , SWR, BR und Journal Film Volkenborn AG