Ikti`ab, Qualaq, Quahar

Burkhard Hofmann – „Und Gott schuf die Angst“ - Ein Psychogramm der arabischen Seele

von Johannes Vesper

Und Allah schuf die Angst
 
Ein Psychogramm der arabischen Seele
 
Gibt es eine spezifische arabische Psychopathologie? Seit mehr als 25 Jahren arbeitet der Autor des hier zu besprechenden Buches als selbständiger Psychotherapeut in Hamburg, fliegt aber mehrfach im Jahr jeweils für ca. 10 Tage nach Arabien und trifft sich mit seinen dortigen Patienten, die durch Mund-Propaganda zu ihm als Psychotherapeuten gefunden haben. Unter Umständen ergänzt er seine Psychotherapie durch Skype-Sitzungen von Hamburg aus. Unter seinen Patient*innen traf er einerseits auf säkulare Männer und Frauen mit westlichem Lebensstil und nur lockerer religiöser Bindung, andererseits auf Fundamentalisten weiblichen und männlichen Geschlechts, die mit dem Koran und dem Islam eng verbunden sind und vor allem mit einer festen muslimischen Religiosität ihre Identität begründen.
     So erkennt er aus den Geschichten, Erzählungen und Anamnesen seiner Patientinnen und Patienten „wie unter einem Vergrößerungsglas“ beispielhaft Probleme der arabischen Gesellschaft und kündigt im Titel ein Psychogramm der arabischen Seele an, gesteht aber im Text, daß für einen wissenschaftlich-statistisch untermauerten Bericht zur arabischen Psychoproblematik sein Material nicht ausreiche. Immerhin glaubt er einige spezifisch arabische Bedingungen feststellen zu können, aus denen bei seinen Patient*innen psychologische Fehlentwicklungen und Neurosen entstanden sind. So spielt die arabische Mutter eine sehr bedeutende, wohl übermäßige Rolle bei der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, was auch schon Mohammed wußte und zitiert wird: „Das Paradies liegt zu Füßen der Mutter“. Ihr gilt Respekt, Verehrung: Ihr sind die Kinder schicksalhaft ergeben, von ihr können sie sich schwer lösen und sie, nicht etwa Allah, entscheidet vielleicht noch postmortal ob Hölle oder Himmel das ewige Schicksal sein wird. Im antiken Nubien herrschte die Kandake über ihre Söhne. Im heutigen Arabien behindert die übermächtige Mutter die Entwicklung ihrer Kinder zu Selbständigkeit und Lösung vom Elternhaus; Kritik und Auseinandersetzung mit den Eltern seien im Islam nicht vorgesehen und die emotionale Lösung der Heranwachsenden mache diesen Angst, lesen wir.
 
     Der arabische Vater hingegen sei an den eigenen, vor allem den kleinen Kindern eher desinteressiert. Er kümmere sich erst im Vorschulalter und dann vor allem um die religiöse Erziehung, verweise beim Gebet und Besuch der Moschee sein Kind emotional an Allah. Ob der kindliche Wunsch nach Nähe auf diese Weise erfüllt werden kann? Daß indische oder philippinische Kindermädchen defizitäre kindliche Beziehungserfahrungen kompensieren können, wird bezweifelt. Urvertrauen in eine liebende Mutter, die bei Belastungen und Schmerzen das eigene Kind herumträgt und so eine buchstäblich tragende Beziehung zu ihrem Kind aufbauen kann, wird sich bei einer Nanny, die die Trennung von ihren eigenen Kindern schlecht verkraften kann, schwer entwickeln. Der Autor vermutet, daß die arabische Kindheit bei unzureichender Beelterung zu einem Mangel an sicherer Bindung und zu unvollständiger Ausbildung des Selbst führt, wodurch sich bei vielen Patienten ein arabisches Kardinalsymptom, die Angst, entwickle.
Narzißmus, also Selbstwertprobleme, Scham und Selbstzweifel als Folge von unreifen, und/oder abwesenden Eltern ist sicher auch in Hamburg ein psychotherapeutisches Problem. Dabei kann die narzistische Symptomatik, also egomanische, rücksichtslose Ichbezogenheit wie auch ausgeprägtes Minderwertigkeitsgefühl, in eine quälende Depression münden. Im Westen wird Alkohol zur Selbsttherapie verwand, im Islam ist Alkohol aber verboten und Hilfe wird gesucht mit Benzodiazepinen, Antidepressiva und überhaupt Psychopharmaka aller Couleur.
     Natürlich spielt Sex auch in Arabien eine gewaltige Rolle und spaltet die Gesellschaft. Während säkulare Bevölkerungsteile durchaus freizügige Partys feiern, wollen die frommen Muslime auch Privatleben streng regulieren, drohen mit Strafen der Scharia bis hin zur Steinigung und versuchen sich mit Kopftuch und Verschleierung eine eigene Identität unabhängig von freien westlichen Vorstellungen zu schaffen. Über Gewalt zwischen den Geschlechtern wurde nicht gesprochen aber doch über den Mißbrauch von Kindern. Die Vielweiberei Arabiens führt auch dort zu Patchworkfamilien mit all ihren Problemen, Verletzungen und emotionalen Vernachlässigungen vor allem der beteiligten Frauen und Kinder.
 
     Der Reichtum Arabiens bedingt, daß vor allem wohlhabende und reiche Frauen im Öl-Schlaraffenland auf berufliche Selbstverwirklichung und Emanzipation verzichten, wozu jedenfalls bei der hier vorgestellten Klientel auch keine materielle Notwendigkeit besteht. Langeweile und Selbstwertproblematik können resultieren. In der weitverbreiteten Verwöhnung der Kinder dieser Patienten wird ein weiterer Grund für fehlendes Selbst oder für unsichere Persönlichkeiten im Erwachsenenalter gesehen. „We are the generation of lost children“ wird eine Patientin zitiert. Aber fehlendes Gleichgewicht zwischen Erziehungsdruck und Entfaltungsfreiraum in der Kindheit und Jugend führt nicht nur in Arabien zu Problemen. Dort aber resultiere aus diesen Bedingungen eine gewisse Gleichförmigkeit der psychischen Symptome: Ikti`ab (Depression), Qualaq (obsessives Denken), Quahar (Kränkung) und als vielleicht wichtigstes Chauf (Angst) bzw. als Gegenpol dazu Aggression versucht der Autor mit der Schilderung psychotherapeutischer Behandlungen von knapp 20 Patient*innen zu zeigen. Zwanghaftigkeit, Phobien, Sexualstörungen sind dem Autor kaum begegnet. Darauf, daß die hier geschilderten Behandlungen bzw. Patient*innen keine repräsentative Stichprobe darstellen, wurde schon hingewiesen.
 
     Mohammed, der Begründer des Islam, wurde im übrigen nicht gekreuzigt. Der souveräne, erfolgreiche Kaufmann eroberte Mekka, führte Kriege mit seinen Armeen und wurde damit bis heute zum Vorbild derer, die an seine göttliche Natur glauben und sich mit ihm und seiner Religion in der Welt zurechtfinden. In Europa aber ist die Religion nach Kopernikus, Aufklärung, vor allem auch nach Darwin und auch der neuen Genetik auf dem Rückzug. Eine Notwendigkeit für Gott zum Verständnis der Welt besteht in der westlichen Moderne nicht mehr unbedingt. Dagegen steht in Arabien die unerschütterliche Glaubensgewißheit der Muslime, wenn sie in Deutschland als Flüchtlinge und Migranten stranden. Vor allem sie benötigen ihren Glauben, ihren Islam als Bollwerk bzw. Quelle als ihres Selbstwertes. „Von der Welt verlassen, wollen sie nicht auch noch gottverlassen sein“.
Das Buch liest sich für den psychotherapeutisch-medizinisch Interessierten leicht und unterhaltsam, und die Lektüre kann die Sensibilität im Umgang mit Migranten steigern. Hilfreiche Konsequenzen für die Integration arabischer Migranten in Deutschland werden immerhin diskutiert. Jedenfalls ist Psychotherapie für Migranten in Deutschland, insbesondere auch für in Kriegen oder auf der Flucht traumatisierte, ein gewaltiges und weitgehend ungelöstes Problem.
 
Burkhard Hofmann – „Und Gott schuf die Angst“
Ein Psychogramm der arabischen Seele
2018 Droemer Verlag, 288 Seiten, gebunden - ISBN 978-3-426-27756-0
19,99 €
Weitere Informationen: www.droemer-knaur.de