„Davon glaube ich kein Wort!“

Max Delbrück in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
Max Delbrück in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

Davon glaube ich kein Wort!“ „I don´t believe a word of it!“ Mit diesen oftmals knurrig und kopfschüttelnd ausgesprochenen Worten reagierte der 1906 in Berlin geborene und 1969 in Stockholm mit Nobelpreisehren ausgestattete Max Delbrück häufig anderen Wissenschaftlern gegenüber, wenn sie ihm hocherfreut von einem ihrer Ansicht nach wichtigen Versuchsergebnis und der dazugehörigen Einsicht berichteten und auf seine lobende Anerkennung hofften. Aber Delbrück, der 1937 von Berlin nach Pasadena bei Los Angeles gegangen war, um am dortigen California Institute of Technology (CalTech) das Atom der Biologen zu finden, und den die Forschergemeinde in den Nachkriegsjahren als intellektuellen Wegbereiter der Molekularbiologie feierte und verehrte, schüttelte in vielen Fällen erst unnachgiebig den Kopf, dann verzog sich sein Mund, was seinem Gesicht fast ein entsetztes Aussehen verleihen konnte, und zuletzt wiederholte er unbekümmert sein harsches Verdikt und ließ den verdutzten Kollegen mit den besten Wünschen im Gang stehen.

     Natürlich sprach sich auf den Fluren der Universitäten und bei den Gesprächen auf Konferenzen herum, wie rücksichtslos und grob Delbrück zum einen seine oft allzu raschen Urteile fällte – etwa in dem Fall, in dem ein Genetiker ihm voller Stolz und mit einem strahlenden Lächeln berichtete, wie er ein einzelnes Gen in Fliegen gefunden habe, das den ungefähr auf vierundzwanzig Stunden angelegten (und deshalb circadian genannten) Biorhythmus der Insekten beeinflußte oder vielleicht sogar bestimmte, oder als ein befreundeter Astronom Delbrück am CalTech ganz aufgeregt davon erzählte, daß es weniger sichtbare und mehr unsichtbare Materie (Dunkelmaterie) im Kosmos gibt –, und wie man zum zweiten später große Mühe hatte, seine Aufmerksamkeit erneut auf das angesprochene Thema zu lenken. Aber nach und nach merkten vor allem die Molekularbiologen, daß Delbrück das ihm mitgeteilte Ergebnis mit seiner schroffen Art eigentlich aufwertete und beehrte und seine Gesprächspartner vor allem herausfordern wollte, tunlichst Gewißheit über das Berichtete zu erlangen. So kam es dann auch, daß er in den meisten Fällen seiner demonstrativen und unhöflichen Ungläubigkeit schlicht daneben lag und sich oberflächlich irrte – natürlich sowohl in dem erwähnten Beispiel mit dem Fliegengen für die die Anpassung an die Tageslänge als auch bei der Existenz von Dunkelmaterie –, und so drehten seine Kollegen eines Tages mit diebischer Freude den Spieß gemeinsam um und verabredeten untereinander nach einem Vorschlag des Molekularbiologen Sydney Brenner folgende Einstellung:
     Wenn Delbrück auf eine wissenschaftliche Mitteilung seine berüchtigte Replik „Davon glaube ich kein Wort!“ von sich geben würde, dann sollte man nicht verzagen, sondern sich – im Gegenteil! – freuen, denn mit Delbrücks Abweisung wachse die Wahrscheinlichkeit, daß man zum einen recht habe und zum zweiten etwas von Relevanz vorweisen könne. Unangenehmer sei, wenn Delbrück gar nicht reagiere und einfach gelangweilt weiterginge. Dann habe man bei seinen Forschungsarbeiten etwas gefunden, das entweder wenig weiterführend sei oder niemand interessieren oder glauben könne und wahrscheinlich besser auf dem Müllhaufen der vergeblichen wissenschaftlichen Bemühungen landen sollte.
               
     Übrigens – der erwähnte Sydney Brenner lebt in diesen Tagen (Januar 2019) als 92jähriger noch in Kalifornien und macht sich nach wie vor Gedanken über die genetische Wissenschaft und das geheimnisvolle Leben, das sie erkundet. Dieser große alte Mann der modernen Biologie hat stets darauf hingewiesen, daß sich zum einen die meisten Ideen von Wissenschaftlern irgendwann als falsch oder überholt erweisen – als Brenner studierte, traute zum Beispiel noch niemand der DNA zu, den Stoff zu bilden, aus dem die Gene sind, und die Biochemiker favorisierten völlig andere Moleküle –, und daß zum zweiten ein einzelner Gedanke nicht die ganze Welt erklären und bestenfalls ein Stück von ihr zu fassen bekommen kann, auch wenn er noch so gut zu sein scheint. Brenner hat deshalb Freunden und Kollegen vorgeschlagen, im Haus der Wissenschaft am besten dauernd mit einem Besen in der Hand umherzulaufen. Mit ihm könne man erst alles unter den Teppich kehren, was entweder nicht stimmte oder was nicht verstanden war, um danach zu schauen, ob man auf dem strapazierten Teppich überhaupt noch aufrecht stehen und sich weiter umschauen konnte. Wenn ja, sollte man andere einladen, sich neben einen zu stellen, um das hübsche und erfreuliche Kehrergebnis zu feiern. Mir scheint, Brenners Besen sollte unentwegt und schwungvoll durch den Tempel des Wissens fegen und an vielen Stellen gehörig Staub aufwirbeln.
 
 
© Ernst Peter Fischer
Aus: „Davon glaube ich kein Wort!“
Anekdoten und Geschichten aus der Welt der Wissenschaft