Horror, schlichtweg Horror - und ein höchstkarätiges Darstellerinnen-Trio

„The Favourite“ von Yorgos Lanthimos

von Renate Wagner

The Favourite – Intrigen und Irrsinn

(GB, Irland, USA - 2018)

Regie: Yorgos Lanthimos
Mit: Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone u.a.
 
In kürzester Zeit ist der Kinobesucher, der auch ins Theater geht, überzeugt: Das kenne ich doch! Queen Anne, die Herzogin von Marlborough, die junge Abigail, der fesche Masham – das ist doch das Personal der Komödie „Ein Glas Wasser“ von Eugene Scribe, die immer wieder auch einmal auf Wiener Bühnen erschienen ist? Und die Helmut Käutner einmal mit Gustaf Gründgens, Liselotte Pulver und Gesang (sie trällerten Chansons!) verfilmt hat?
Ja, zumindest nach dem Personal ist es dieselbe Handlung, interessanterweise hat sich Scribe damals in derselben Historie kundig gemacht, aber der Film „The Favourite“ hat absolut nichts mit dem Theaterstück zu tun. Auch nichts mit üblichen Historienfilmen: Regisseur Yorgos Lanthimos ist von einer attraktiven, spannenden, gefälligen Darstellung der Vergangenheit so weit abgewichen wie nur möglich.
     Lanthimos (bekannt für seine absolut „schrägen“ Filme wie „The Lobster“ oder „The Killing of a Sacred Deer“) liefert hier das Bild eines Königshofs als Schlangengrube, in der Macht und Intrige, Leidenschaften und Verzweiflung, Exzentrik und Dekadenz eine ungemein giftige Mischung eingehen. Dennoch – der Regisseur ist in diesem Film für das Publikum zugänglicher als in seinen verklausulierten Werken zuletzt.
Es gab sie alle wirklich: Queen Anne (1665-1713), die letzte Stuart auf dem englischen Thron, die hoch intrigante Herzogin von Marlborough (1660-1744), ebenso jene Abigail Masham, die alle zum engen Kreis der Königin zählten – mit einiger Sicherheit lesbisch-eng und mit allen emotionalen Ups and Downs, die damit verbunden sein konnten. Aber letztendlich geht es damals, 1708, nur um Macht und Politik – und eine gänzlich unfähige Herrscherin in einer Zeit schlimmer Kriege und sozialer Nöte.
 
     Wenn die Königin von Anfang an als hysterisch und exzentrisch hingestellt wird, ist das allerdings begreiflich angesichts einer Witwe, die 17 (!) Kinder geboren hatte, von denen alle (!) gestorben waren, zuletzt der Thronfolger Wilhelm im Jahre 1700 mit 11 Jahren. Die schwerfällige Frau, die sich zwischen Bett und Sessel hin und her schleppt, streichelt Stoffhäschen. Ihre Haut ist blutig, und sie schreit oft vor Schmerz.
Das ist – in einer Welt von klaustrophobischer Üppigkeit der Epoche – die Königin, die über den Verlauf des Krieges entscheiden soll, die Gruppen im Parlament (Whigs und Tories) manipulieren wollen, und auf die ihre Favoritin, die Herzogin von Marlborough mit Psychoterror versucht, Einfluß zu nehmen (ihr Mann gehörte der Partei der Whigs an, die Großbritanniens Teilnahme am Spanischen Erbfolgekrieg forcierten).
     Diese Königin Anne, ein armseliges Bündel Frau, die dennoch tyrannisch vor allem über ihren weiblichen Hofstaat befahl, ist eine Meisterleistung der britischen Schauspielerin Olivia Colman (sie weist auch optische Ähnlichkeit mit einem Gemälde von Queen Anne auf), die für ihre bisher größte Filmrolle auf Anhieb mit dem „Golden Globe“ ausgezeichnet wurde.
So, wie der Hofstaat rund um diese Königin gezeichnet wird, gewinnt der Film von Yorgos Lanthimos die Atmosphäre einer Horrorgeschichte, in der geradezu funkelnden Rachel Weisz als gnadenlose Herzogin wie die souveräne Bösewichtin aus dem Märchen agiert. Vielleicht, um sich selbst von den steten Ansprüchen der Königin zu entlasten, beging sie einen großen Fehler, als sie ihre verarmte Cousine Abigail Hill an den Hof holte: Auftritt Emma Stone als junges Mädchen, das im schlichten Gewand des Dienstpersonals auftaucht, aber die Königin darauf aufmerksam macht, daß sie gebildet ist – und die sich schnell und geschickt bei dieser einschmeichelt (obwohl man den Eindruck hat, sie mag die Königin wirklich).
     Jedenfalls tritt der Kampf der Favoritinnen in den Vordergrund: Abigail verdrängt die Herzogin tatsächlich aus ihrer Favoritinnen-Position (wozu sie auch kriminelle Mittel benützt). Und wandelt sich von dem einfachen Geschöpf überzeugend zur mächtigen Hofdame, die ihre nunmehrige Vorgängerin in ihre Schranken weist. Die Wandlung von der scheinbaren Unschuld zum Monster ist faszinierend, das Maß an Bösartigkeit, das sich aufbaut, erschreckend, der Kampfgeist aller atemberaubend.
 
     Es ist ein spannungsgeladenes Frauen-Dreieck, das hier schonungslos auf der Leinwand agiert, Machtspiele in alle Richtungen – wo Abigail auch nackt im Bett auf die Königin wartet. Anders als im Lustspiel von Scribe gibt es zwar auch einen jungen, hübschen, adeligen Masham im Spiel der Frauen, aber nicht die Königin wirft ihr Auge auf ihn, sie verheiratet ihn vielmehr mit Abigail, was deren Stellung bei Hofe stärkt.
Mit der Entmachtung der Whigs erfolgte auch die Entmachtung der Herzogin von Marlborough, gegen die Abigail mit allen möglichen Verleumdungen (Veruntreuung von Geld) intrigiert und die von ihr schließlich mit aller Kälte der Welt weggeschickt wird, nachdem die Königin sie des Hofes verwiesen hat… ein Hof, in dem sich auch eklig-obszöne Spiele begeben.
     Politik spielt immer im Hintergrund mit – und eine schwache Frau, die nur von ihren wankenden Gefühlen geleitet wurde, hatte die Macht, Entscheidungen für eine Nation zu treffen. Und war doch trotz ihrer Stellung einfach nur ein armes Opfer… Horror, schlichtweg Horror, in den ein Regisseur sein höchstkarätiges Darstellerinnen-Trio treibt.
 
 
Renate Wagner