Alle Rätsel waren nicht lösbar.

Viveca Servatius – „Constanze Mozart“

von Renate Wagner

Alle Rätsel waren nicht lösbar.
 
Was über Constanze Mozart zu wissen ist,
ist hier zusammengetragen.
 
Es ist schier unglaublich, wie viele Bücher es über Constanze Mozart gibt – und wie emotionsgeladen, zumeist in negativer Färbung, über Mozarts Gattin berichtet wird. Die schwedische Wissenschaftlerin Viveca Servatius, die nach jahrelangen Recherchen nun die „ultimative Biographie“ über diese Frau vorlegt – in der Länge und Materialfülle unerreicht -, gibt im Anhang ihres Buches einen Überblick über die Literatur: Kaum zu glauben, wie Constanze von den solidesten Wissenschaftlern bis zu den Autoren von Romanbiographien stets als „Erregung“ wahrgenommen wurde.
Wenn Viveca Servatius nun so vieles, so Genaues, so breit Ausgeführtes zu bieten hat, so bleibt bei ihr auch eine Tendenz unanzweifelbar: Sie will die Figur dieser Frau, die neuneinhalb Jahre mit Mozart verheiratet war und ihn um 50 Jahre (!) überlebte, positiv sehen. Wenngleich sie – um das vorwegzunehmen – in dieser Biographie immer über zwei Punkte stolpert, in denen Constanze schwer erklärbar erscheint: Warum hat sie sich nie um Mozarts Grab gekümmert? (Selbst der König von Bayern stellte ihr einst diese Frage, und sie konnte sie nicht beantworten.) Und warum hat sie in Bezug auf das „Requiem“ fälschlich versucht, den doch sehr großen Anteil von Franz Xaver Süßmayr zu verschweigen?
Viveca Servatius bringt in ihrem Buch so viele Dokumente, Briefe, zeitgenössische Zeugnisse in langen Zitaten ein, wie man es kaum je erlebt hat. Dennoch wird der Leser, der mit Mozart vertraut ist, in der Geschichte der beiden (sie heirateten am 4. August 1782 im Stephansdom, Mozart war 26, Constanze 20 Jahre alt) wenig Neues finden. Herausgestrichen wird, daß Constanze es an der Seite dieses Genies, den man heute als „hyperaktiv“ bezeichnen würde und der absolut nicht mit Geld umgehen konnte, wahrlich nicht leicht hatte. Sie brachte sechs Kinder zur Welt, wechselte oft die Wohnung, hatte offenbar empfindliche Probleme mit den Beinen (die Kuren in Baden waren keine bequeme Flucht) – und sie wurde von Mozart gewissermaßen als Mitarbeiterin herangezogen, der er alles vorspielte, was er komponierte. Wenn Constanze auch nicht das außerordentliche Gesangstalent ihrer Schwester Aloisia Weber besaß, muß sie doch sehr gut gesungen und auch sehr gut Klavier gespielt haben, sonst hätte sie sich nach dem Tod des Gatten nicht in diesen Eigenschaften als ausübende Musikerin auf lange „Mozart-Tourneen“ begeben können.
 
     Nach Mozarts Tod weiß man von Constanze weniger. Hat die Mitwelt und Nachwelt sie schon als Mozarts Gattin „heruntergemacht“ („unwürdig“ ist vielfach das Verdikt), so begann die totale Verleumdung nach seinem Tod. Das „Armengrab“, um das sich keiner gekümmert hat, und „die Geschäfte der Frau Mozart“ mit dem Requiem – das zu wissen, reichte schon.
Die Biographie von Viveca Servatius ist bei Mozarts Tod gerade bei Seite 170 gelandet. Der Rest ihres umfangreichen Buches (Text bis Seite 521, es folgt der Anhang) gilt ihren weiteren 50 Lebensjahren, von denen man wenig weiß. Das Klischee besagt, daß sie einen reichen dänischen Adeligen heiratete, ihm eine geschönte Mozart-Biographie diktierte – ja, und was?
Hier gibt es unglaublich viel zu erzählen und zurecht zu rücken, und die Autorin tut es mit unendlicher Geduld, weiß immer auch viel über Zeit, Umwelt und Musikleben zu erzählen, in denen sich Constanze, die „Witwe Mozart“, bewegte. Die nach seinem Tod gar nicht so „arm“ war, weil viele Gönner es für ihre Pflicht hielten, ihr beizustehen. Daß es Constanzes lebenslanges Anliegen war, die Erinnerung an Mozart wach zu halten, kann tausendfach bewiesen werden. Als sie starb, war es ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod dann schon zu einem wahren Mozart-Kult gekommen… der ja gewissermaßen bis heute anhält.
     Man lernt Constanzes weiteres Leben kennen, das sie so eindrucksvoll gemeistert hat wie ihre Ehe mit Mozart. Georg Nikolaus Nissen war kein Adeliger (Constanze fügte später als seine Witwe das „von“ in ihren Namen ein), er war nicht reich, er war ein dänischer Diplomat mittleren Ranges in Wien, ein Jahr älter als die „Witwe Mozart“ und ihr offenbar sehr, sehr zugetan. Die beiden hielten ihre Beziehung lange diskret – Constanze war eine Wiener Berühmtheit, führte eine zeitlang sogar einen musikalischen Salon. Daß die beiden so spät heirateten, lag daran, daß religiöse Mischehen in der österreichischen Hälfte der Monarchie verboten waren: Erst als die beiden auf der Flucht vor Napoleon 1809 in Pressburg landeten, wo (die ungarische Reichshälfte) Mischehen erlaubt waren (Constanze war eine gläubige Katholikin, zu konvertieren wäre für sie nicht in Frage gekommen), heirateten die beiden – da war Mozart immerhin 18 Jahr tot.
     Nissen hat keinesfalls seine ganze Ehe mit dem Erstellen einer Mozart-Biographie verbracht, im Gegenteil. Die zehn Jahre, die Constanze mit ihm in Kopenhagen lebte, verbrachten sie in bürgerlicher Unaufgeregtheit. Mit welchen Absichten sie 1820 zu reisen begannen, ist nicht klar. Jedenfalls landeten sie in Salzburg, wo Nissen dann 1824 mit ausführlichen Recherchen begann – das heißt, er holte von möglichst allen, die Mozart noch gekannt hatten, Aussagen ein. Ein eigenständig interpretatorisches Werk hatte er nicht vor: Er klebte vielmehr die Seiten der existierenden Biographie von Franz Xaver Niemetschek (die sich stark auf Angaben von Constanze gestützt hatte) ein und ergänzte sie mit Informationen, Dokumenten und Briefen, wobei Nannerl Mozart ihm die Korrespondenz von Leopold mit Wolfgang überließ. Er war also keinesfalls Constanzes „Ghostwriter“, sondern ein gewissenhafter Rechercheur, und als er wenig später, 1826, starb, war das Werk weit von der Vollendung entfernt.
 
     Es kostet die Autorin Dutzende und Dutzende Seiten, um die Schwierigkeiten des Erscheinens zu schildern – mit einem Herausgeber, der mehr oder minder ein Betrüger war, mit einem Verlag (Breitkopf & Härtel), der sich nicht an Verabredungen hielt. Letztendlich hat sie sehr viel Geld investiert, das Buch erscheinen zu lassen.
Nissen war den beiden überlebenden Mozart-Söhnen ein liebevoller Vater und wurde von ihnen auch als solcher angenommen. Wir erfahren mehr denn je über den älteren Sohn, Carl, den Constanze zum Kaufmann ausbilden lassen wollte und nach Italien schickte, wo er lebenslang blieb. Zwischendurch wandte er sich der Musik zu, gab das Studium aber wieder auf und endete sein Leben 1858 als Monarchie-Verwaltungsbeamter in Mailand. Er war der letzte Mozart. Sein Bruder Wolfgang, ein begabter Sänger und Pianist, arbeitete meist im Osten des Reichs (Galizien), regelte noch den Nachlaß der Mutter und starb zwei Jahre nach ihr, 1844 in Karlsbad.
Mehr denn je erfährt man auch über die Schwestern Constanzes, über das unglückliche Schicksal der so begabten Aloisa, deren Ehe mit den Schauspieler und Maler Lange (von ihm sind die besten Gemälde Mozarts und Constanzes) so unglücklich ausging und die 1839 in Salzburg, bei der Schwester, starb. Am Ende waren alle „Weberischen“ in alle Winde zerstreut, nur die älteste, die Sängerin Johanna (die erste Königin der Nacht) war in Wien geblieben und starb dort 1819.
Die jüngste Schwester Sophie, die Mozart so verbunden gewesen war, in deren Armen er starb, heiratete einen Musiker, ging mit ihm nach Diakowar im damaligen Slawonien. Ihr Mann starb an demselben Tag wie Nissen. Sophie, die schon in Wien für Constanze eine unersetzliche Hilfe im Haushalt gewesen war, zog zu ihr nach Salzburg, wo die beiden Damen zusammen lebten. Sophie überlebte Constanze, die 6. März 1842 in Salzburg starb, um zwei Jahre – ihr war es vergönnt, vom Fenster ihrer Wohnung auf das Mozart-Denkmal zu blicken, das ein halbes Jahr nach Constanzes Tod im Beisein ihrer Söhne aufgestellt wurde.
 
     Die Fülle an Information, die dieses Buch bietet, ist kaum zu überbieten. Wacker wird gegen Klischees und Vorurteile gekämpft, werden Dokumente befragt, neue Antworten gefunden, aber alle Rätsel waren nicht lösbar. Daß diese Constanze Nissen als Berühmtheit starb, steht fest. Die Nachwelt hat sich von der Verteufelung bis zur Lobpreisung an dieser Persönlichkeit gerieben. Was es faktisch und konkret über sie zu wissen ist, ist hier zusammen getragen.
 
Viveca Servatius – „Constanze Mozart“
Eine Biographie
© 2018 Verlag Böhlau, 656 Seiten, gebunden, 55 s/w- und 11 farbige Abbildungen – ISBN: 978-3-205-20596-8
50,- €
Weitere Informationen: http://www.boehlau-verlag.com