Im Sandwich zwischen Marlitt und Courths-Mahler

Karl May – „Wanda“

von Frank Becker

Eine köstliche Schmonzette
 
Karl May zwischen Eugenie Marlitt
und Hedwig Courths-Mahler
 
Der Karl May Verlag, weder in Radebeul noch in Bamberg, ganz zu schweigen vom Freiburger Fehsenfeld-Verlag, hat je die köstliche Kriminalnovelle „Wanda“ des später mit Ruhm und noch später mit Häme überschütteten Reise- und Abenteuer-Schriftstellers Karl May in sein Verlagsprogramm aufgenommen. Als May noch nach seiner Bestimmung suchte und sich als Kolportage-Roman-Schriftsteller bei diversen Gazetten bereits recht erfolgreich durchs Leben schlug, schrieb er diesen turbulenten Fortsetzungsroman, der 1875 zunächst im „Beobachter an der Elbe“ im Verlag H.G. Münchmeyer erschien. Später wurde er von diversen Münchmeyer-Blättern und einigen aus den Verlagen E. Lange, F. Branstedt und J.L. Leuschner übernommen wurde, fand also eine beachtliche Verbreitung. Eine Buchausgabe wurde etwa 1908 von Münchmeyer veranstaltet.
Mehr als 140 Jahre später hat nun die Düsseldorfer Edition Oberkassel den Stoff für ihre Krimi-Sparte wiederentdeckt, erzählt aber nichts über die oben geschilderte Vorgeschichte, sondern beruft sich im Impressum lediglich auf die Internet-Plattform Wikipedia. Das ist ein bißchen zu wenig.
 
Die Geschichte  von „Wanda“ ist im Aufbau kompliziert, letztlich aber doch schlicht, da die bürgerlichen Fortsetzungsleser anno 1875 schließlich keine Hochliteratur erwarteten. Die Handlung soll hier umrissen sein: Die junge, schöne, kluge, sportliche und sehr selbstbewußte Baronesse Wanda von Chlowicki, auch „die wilde Polin“ genannt ist dem Baron von Säumen versprochen, damit Adel bei Adel bleibt und Vermögen zu Vermögen kommt. Ihre strenge Stiefmutter, die Baronin v.Ch., achtet sehr auf Adel und Distanz zum gemeinen Volk. Dem scheint der Essenkehrer Emil Winter anzugehören, ein braver und erstaunlich belesener und gebildeter Handwerker, der sich insgeheim als erfolgreicher Romanschriftsteller in Zeitschriften (sic!) betätigt. Dein Bruder ist ein Polizist unteren Ranges mit Ambitionen, weshalb er die Spur eines Mörders und Betrügers bis in die Stadt verfolgt, wo Emil, Wanda und der vermeintliche Baron von Säumen leben. Sehr bald wird dem Leser der Informationsvorsprung geschenkt, daß v. Säumen ein Mörder und Betrüger ist, der Wanda noch vor der Ehe umbringen will, um so an das durch einen bestehenden Vertag an ihn fallende Vermögen der Braut zu kommen. Noch ein paar weitere Spitzbuben kommen hinzu, so ein einstiger Komplize v. Säumens (der in Wirklichkeit Morelly ist), ein korrupter pensionierter Polizeirat, dessen Neffe, sowie Kommissar von Hagen, ein ebenso korrupter und erpresserischer Polizist, Vorgesetzter von Emil Winters Bruder und ebenfalls scharf auf Wandas Schönheit und Vermögen.
Es kommt zu mehreren Mordanschlägen gegen Wanda und zu gefährlichen Unfällen, aus denen sie aber stets Emil rettet, der immer rechtzeitig und beherzt zur Stelle ist. Gemeinsam mit seinem Bruder und der Unterstützung der Handwerkerschaft überführt Winter den Verbrecher, der ebenso wie sein Komplize und von Hagen umkommt. Die Baronin enthüllt den längst ineinander verliebten Emil und Wanda, daß sie Vetter und Kusine und von gleichem Stand sind. Einer Verbindung steht nichts mehr im Wege.
 
Getreu der Zeit seiner Entstehung enthält der Roman „Wanda“ alle nur denkbaren Klischees über Frauen, Adel, Juden, Polizisten und Handwerker – und ist doch erstaunlich modern. Eine ordentliche Schmonzette hat Karl May da abgeliefert, im Sandwich zwischen Eugenie Marlitt und Hedwig Courths-Mahler, jedoch durchaus spannend. An die geschraubte, umständliche und langstielige Sprache muß man sich heute ebenso gewöhnen wie an die besagten Klischees. Es macht Spaß, die verschachtelte Handlung mit aufzudröseln, wenn auch der anbiedernde eingebaute Dialekt der „einfachen“ Handwerker, angelehnt an Thüringisch und Sächsisch, in der Schriftsprache und das Liebedienern mit dem Adel fürchterlich ist. Alles in allem aber ein interessanter Einblick in das frühe Wirken des beliebtesten deutschen Jugendbuchschriftstellers des frühen 20. Jahrhunderts.
 
Karl May – „Wanda“
Kriminalnovelle
© 2018 Edition Oberkassel (1874-75 Der Beobachter an der Elbe), 204 Seiten Broschur – ISBN: 978-3-95813-1583
12,- €
Weitere Informationen: www.edition-oberkassel.de