Publikumsbeschimpfung

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen
Publikumsbeschimpfung
 
Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren, herzlich willkommen, aber bevor wir heute zu unserem eigentlichen Programm kommen, möchte ich doch hier erstmal einiges klarstellen. Ich bin eigentlich froh, daß Sie wieder so zahlreich erschienen sind, denn dann kann ich Ihnen nämlich gleich mal en bloc die Leviten lesen. Denn dieses deutsche Volk oder man kann auch ruhig sagen, das, was sich dafür hält, dieses Volk, dem Sie ja auch angehören, scheint mir ja inzwischen ein furchtbarer Sauhaufen zu sein. Was ich da dauernd so sehen und so hören muß, dss spottet ja jeder alten deutschen Tradition, nämlich auch mal zu den Dingen JA zu sagen. Das muß man sich wirklich mal vorstellen, jeder 10. Deutsche ein Pazifist, jeder 7. Deutsche ein Christ und jeder 3. Deutsche ein Kommunist, die Dunkelziffern erst gar nicht mitgerechnet, und alle anderen sind auch total unsicher und wissen nicht mal, was läuft.
     Herrgottnochmal, ist denn das so schwer, selbst unser Kanzler könnte fast wie Wilhelm der Zweite sagen: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche, und da muß man eben jetzt mal über seinen Schatten springen können und nicht immer mit 1945 kommen. Natürlich haben wir alle damals gesagt: Nie wieder! Nie wieder Krieg! Aber man ist ja schließlich 36 Jahre älter und reifer geworden und da kann man ja gefälligst auch mal einsehen, daß es wahrscheinlich doch nicht so ganz ohne geht. Aber man kennt das ja, wenn wir nämlich dann den 3. Weltkrieg gewonnen haben, dann kommen sie alle an und sagen: lch war ja damals auch dafür, ich hab ja damals auch schon gesagt. Aber da passen wir heute schon auf, wir kennen diese Leute, die da dauernd diese Appelle unterschreiben, diese deutschen Friedens heinis. Die sollten sich mal ein Beispiel an ihren Israelis nehmen, an ihren Juden. Die machen es ihnen schon vor! Was wir damals an den Juden verbrochen haben - verbrochen haben sollen, denn darüber ist das letzte Wort ja auch noch nicht gesprochen -, das machen die jetzt von selbst an uns wieder gut, die Juden. Ein Präventivschlag aus einer defensiven Haltung heraus, das ist genau das, was uns degenerierten Europäern fehlt. Diese Drückeberger-Jugend, vom Krieg keine Ahnung, aber Frieden im Kopf, nur noch Frieden, Frieden. Wenn ich ja der Kanzler wäre, ich würde ja heute noch den Amerikanern empfehlen, die Russen zu bitten, in Polen einzumarschieren, dann sollen Sie mal sehen, wie - husch, husch - diese sogenannte deutsche Friedensbewegung im Eimer ist, dann stellt sich nämlich heraus, daß der deutsche Bundeswehrsoldat der einzige ist, der wirklich Friedensdienst leistet und die Herrn Wehrdienstverweigerer am Kriege arbeiten.
     Da scheint ja überhaupt eine vollkommene Konfusion im deutschen Volk zu herrschen. Wir, das einstmals so berühmte Volk der Dichter und Denker, können auf einmal nicht mehr mit der Sprache umgehen. Si vis pacem, para bellum, haben schon die alten Römer gesagt, willst du den Frieden, bereite den Krieg vor oder sei bereit für den Krieg oder so ähnlich, aber die sollen heute alle im Garten Gethsemane herumspazieren und sich mit der Bergpredigt verteidigen. Man muß sich das nur mal bildlich vorstellen, da machen wir hier seit Jahr und Tag alle 2 Monate in diesem wunderschönen Sendesaal einen geselligen Bunten Abend, um die Leute bei der Stange zu halten, und da meint doch tatsächlich jeder 5. Deutsche, daß er jetzt hier den Jesus von Nazareth spielen könne. Was ist denn das für eine Moral? Was ist denn das für eine Ethik, vor allen Dingen unseren amerikanischen Freunden, Verwandten und Bekannten gegenüber, die selbst heute immer noch bereit sind, sogar den Russen sogar den Russen! Getreide zu liefern. Man muß das doch mal weltweit sehen. Und wenn man das nicht einsehn will, dann müssen wir eben, der Kanzler und ich, dann müssen wir uns eben ein anderes Volk suchen. Gottseidank gibt es ja noch ne Menge guter Deutscher, die lieber tot als rot sein möchten.
 
Hanns Dieter Hüsch

 
© Chris Rasche Hüsch
Veröffentlichung aus „Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung.