Zeichen

(Über den mystischen Alltag)

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Zeichen
 
(Über den mystischen Alltag)
 
Es ist kein Aberglaube, der mich aufrüttelt. Ich sehe nur manche Nebensächlichkeiten als bedeutende Zeichen an, um dem Alltag auf die Spur zu kommen. Heute habe ich, ungelogen, sieben Mal hintereinander gehustet und deshalb beschlossen, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Ich habe mal an einem Tag, als die Birne meiner Schreibtischlampe geplatzt ist, ein Rendezvous mit einer Mediamarkt-Verkäuferin ausfallen lassen. Natürlich steht das alles nicht wirklich in einem Zusammenhang, aber der Mensch braucht Führung. Ich brauche Wegweiser. Ich suche Entscheidungshilfen. Ich beobachte den Weltenlauf und das Verhalten des Briefträgers und mache mir meinen Reim darauf. Ich habe in meiner Dusche einen Wischer, mir dem man die nassen Duschwände trockenwischen kann. Meine Frau hat immer darauf geachtet, daß ich nach dem Duschen die Duschkabine reinige und dadurch schimmelfrei halte. An diesem Ritual habe ich selbst nach ihrer Flucht festgehalten. Dieser Wischer hängt mehr schlecht als recht an einem Saugnapf, an dessen Haken man auch Waschlappen hängen könnte. Oft kommt es vor, daß dieser Wischer samt dem Saugnapfhaken in die Duschwanne stürzt und alles mit sich reißt, was unter ihm plaziert war. Ich stelle oft meine vollen und leeren Shampooflaschen auf dem Wannenrand ab. Ich kann nun, wie bei einem Kegelspiel, mein Schicksal herausfordern. Stürzt der Wischer auf die Flaschen, reißt sie um, zähle ich die gefallenen Shampooflaschen und leite daraus mein Schicksal ab. Gestern hatte ich großes Glück. Acht Shampooflaschen und zwei Seifendosen lagen umgestürzt in der Wanne. Da stand nichts mehr in Reih und Glied und salutierte mit dem Duschkabinengruß. Der Wischer hatte ganze Arbeit geleistet. Full house. Er hatte bei seinem Sturz alles umgerissen, was ihm in die Quere kam. Das hörte sich nach einem Glückstag an. Ich war gleich sehr beunruhigt. Glück sieht für alle anders aus. Ich bin mir sicher, daß ich noch umarmt werde. Bei meiner Angst vor körperlicher Nähe ist das kein schöner Gedanke. Hoffentlich läßt sich das Glück auch auf meine Bedürfnisse ein. Ich wäre zum Beispiel gerne unsichtbar. Ich würde gerne die heilige Kommunion empfangen. Mir fehlt es an Aufmerksamkeit und Entschuldigungen.
Ich würde gerne die Welt bestrafen.
 
 
© Erwin Grosche