Kein Klischee ausgelassen

„Sweethearts“ von Karoline Herfurth

von Renate Wagner

Sweethearts
(Deutschland 2019)

Drehbuch und Regie: Karoline Herfurth  
Mit: Karoline Herfurth, Hannah Herzsprung, Frederick Lau, Ronald Zehrfeld, Katrin Saß, Anneke Kim Sarnau u.a.               

Also, Sweethearts sind die Damen absolut keine, wenn auch jede ihren „Soft Spot“ hat: Bei Mel, die gerade kaltblütig einen Juwelenraub durchgezogen hat, ist es ihre kleine Tochter. Und bei Fanny, die auf dem Rückzug so mir nichts, dir nichts als Geisel genommen wurde, ist es ein Polizist, der ihr über den Weg läuft. Aber erst später – und das im Rahmen einer Geschichte, die so verrückt ist, daß sie nicht ernst genommen werden kann. Aber das Genremix, das in dieser deutschen „Thelma & Louise“-Version geboten wird (man erinnert sich, das legendäre weibliche Gangsterpärchen), wäre unverdaulich, wenn es die Hauptdarstellerinnen nicht immer wieder retteten. Vermutlich wissen sie selbst nicht, wie: Zauber der Persönlichkeiten?
Natürlich ist es gut, daß in Deutschland jetzt so viele Filme gedreht werden, man will ja nicht nur von den Amerikanern abhängig sein (und die anderen großen Filmnationen enttäuschen – wie die Franzosen so oft – oder lassen ganz aus – wie die Engländer derzeit). Allerdings gibt es dann auch immer wieder die Fälle der „Selbstbedienung“: Wenn sich eine Schauspielerin ein Drehbuch schreibt, das eine Hauptrolle für sie enthält, und wenn sie zur Sicherheit auch noch selbst inszeniert. Folglich kann man sagen: Was immer in „Sweethearts“ passiert, ob Handlung, Darstellung, Umsetzung, Karoline Herfurth hat es zu verantworten. Und man fragt sich, ob die 34jährige, die in so manchem Film aufgetaucht ist, wenn auch meist als unübersehbar skurrile Nebenrolle, sich die Latte eigentlich hoch oder tief gelegt hat…
Tief ist es, weil sie einfach ein verrückt-irreales Lustspiel bietet, in dessen Zentrum sie als doch recht klischierte Figur steht – die von Panikattacken geschüttelte Hysterikerin, die sich selbst so normal vorkommt (aber sonst niemandem). Diese Fanny wird, wenn sie als Geisel genommen wird, sich erst nicht einmal sonderlich fürchten, sondern nur  herumzicken. Und eigentlich tut sie das den ganzen Film hindurch. Ein Wunder, daß Mel – die Räuberin, die keine wirkliche Kriminelle ist, sondern nur mit ihrer kleinen Tochter aus dem „Milieu“ aussteigen will – sie nicht nach kürzester Zeit auf Nimmerwiedersehen aus dem Auto wirft. Man selbst hätte das mit Sicherheit getan.
 
Aber das Road-Movie, zwei Frauen auf der Flucht, wird auch zum Buddy-Movie, wenn sich Fanny (Stockholm-Syndrom?) nach und nach an Mel anschließt und ihr am Ende sogar hilft, ihre logistischen Probleme mit der Polizei zu lösen. Glaubhaft ist das nicht eine halbe Sekunde lang, die ganze Handlung nicht, die aber über weite Strecken ja doch auf realistisch gepolt wirkt. Und am Ende gibt’s dann Blut – aber es ist nur der Böse (Ronald Zehrfeld), der auf der Strecke bleibt. Auf den kann man leichten Herzens verzichten und sich vom Shoot-Out schnell wieder aufs Happyend einstellen.
Auch die Parallelhandlung ist reichlich klischeebehaftet: Die kaltschnäuzige Polizistin (Anneke Kim Sarnau), mit der niemand zusammen arbeiten will, am wenigstens ihr Exfreund, Polizist Harry (Frederick Lau): Wie er als weitere Geisel (!) dann in die Handlung eingeführt wird, ist ein Kunststück an verbogener Argumentation. Aber seine Funktion besteht ohnedies nur daran, der völlig verkorksten Fanny so etwas wie erotische Gefühle einzuflößen… Ja, und da ist dann noch in einer kleinen Szene Katrin Saß (das ist die, die bis heute so unvergleichlich nach DDR riecht, daß sie solche Rollen besonders vorzüglich spielt) – eine kaltschnäuzige Mutter, die im Endeffekt ja den beiden Flüchtigen doch hilft. Wie gesagt, da wird nichts ausgelassen.
 
Ja, und da sind noch die gar nicht süßen Hauptdarstellerinnen, wobei Hannah Herzsprung das Gefühl vermittelt, sie habe diesmal ihren Typ geändert, sei nicht mehr so nervtötend „intensiv“, wie es ihr Markenzeichen ist, sondern eher ziemlich normal und sehr genervt. Kein Wunder angesichts von Karoline Herfurth, die sich natürlich die Traumrolle für eine Comedienne geschrieben hat, die sie zweifellos ist – das Nervenbündel, das natürlich auch zeigen kann / darf / muß, daß sie was drauf hat. Kein Klischee ausgelassen.
Was fängt man mit so einem Film an? Ehrlich, das ist schwer zu entscheiden. Einfach zu blöd? Oder doch witzig? Oder ein ironischer cineastischer Purzelbaum? So manches. Der Betrachter muß selbst zu seinem Urteil kommen, man kann es ihm nicht vorgeben – sonst steht man am Ende noch als Sauertopf da.
 
 
Renate Wagner