Popmusik = Schlager?
Eine unterhaltsame Untersuchung
Zunächst einmal muß man sich darüber einigen, wann und womit die Geschichte der deutschen Popmusik begann und worin die Unterschiede von Schlager, Hit und Popsong liegen. Manfred Prescher sieht das in seiner Untersuchung „Es geht voran“ sehr differenziert, indem er schon im Vorwort auf das Problem einer „Grenzziehung“ per Definition hinweist: „Mit willkürlichen Grenzziehungen ist das so eine Sache egal ob es sich um Quoten (…) oder um deutschsprachige Musik handelt“. Aber daß da wohl jeder seine eigene Meinung hat, liegt auf der Hand. Daß man durchaus mit dem Ende des 3. Reichs und der Kultur-Diktatur der Nationalsozialisten und dem Neubeginn nach 1945 ein neues Kapitel der deutschen Unterhaltungsmusik aufgeschlagen hat, kann nicht in Frage gestellt werden. Die bedeutsamen Jahre 1945-1964 allerdings läßt Manfred Prescher bewußt aus, bzw. streift sie als Marginalie im Kielwasser der Nazi-Zeit und setzt den Beginn der deutschen Popmusik mit dem Jahr 1964 gleich, als sich die jungen Liedermacher zu ihren legendären Konzerten auf der Burg Waldeck trafen.
Die grundlegende Epoche, die das deutschsprachige Pop-Geschäft ab etwa 1947 mit den großen Erfolgen der völlig neu entstandenen Schlager-Branche erst möglich gemacht hat, kann jedoch nicht so einfach gestrichen werden. Künstler wie u.a. Die drei Travellers (Gisela), Bully Buhlan (La-le-lu), Rudi Schuricke (Auf wiederseh´n), Conny Froboess (Pack die Badehose ein), Wolfgang Sauer (Glaube mir), René Carol (Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein), Paul Kuhn (Der Mann am Klavier), Gerhard Wendland (Ruf mich mal an per Telefon). Fred Bertelmann (Zwei Heren im Mai), Freddy Quinn (Heimweh), Peter Kraus (Mit Siebzehn), Ted Herold (Moonlight), Caterina Valente (Es ist so schön bei dir) oder Ivo Robic (Morgen) schufen die solide wirtschaftliche Basis, auf der Plattenfirmen aufbauen konnten.
Der Verlag schreibt: „Deutsche Texte und Popmusik - das ging lange nicht zusammen. Zu sehr war die Sprache durch die jüngste Geschichte vorbelastet und zu sehr schielte man über den großen Teich oder zumindest über den Kanal und versuchte, die angloamerikanischen Stars auch in der Sprache zu imitieren. Doch das hat sich gewaltig geändert und schon seit einiger Zeit mischen deutschsprachige Künstler die hiesigen Charts auf - deutscher Hip-Hop steigt in der Regel auf Platz 1 ein, Schlagerkünstler aber auch moderne Liedermacher sind extrem erfolgreich. Von Hannes Wader und den politischen Liedermachern der 1960er Jahre über Udo Lindenberg und die Neue Deutsche Welle, bis hin zu Sido und Tim Bendzko spürt Manfred Prescher der Geschichte der deutschsprachigen Popmusik nach. Spannend und unterhaltend zeigt er, wie es gelang, eine neue Sprache und eine neue Leichtigkeit zu erschaffen, was die Erfolge der letzten Jahre erst ermöglichte.“
Auch ich liebe vorbehaltlos die Balladen von Hannes Wader und Reinhard Mey, sogar die Blödel-Lieder von Insterburg & Co., mag sie aber ebenso wenig zur Pop-Kultur zählen wie Ton, Steine, Scherben (denen wir nebenbei die schreckliche Claudia Roth zu verdanken haben), Otto Waalkes oder Konstantin Wecker, Wolfgang Ambros und Helmut Qualtinger. Da liegt Manfred Prescher mit Udo Lindenberg, Nena, Kraftwerk, DAF, Trio, den Toten Hosen und den Ärzten schon eher richtig, und auch Rammstein, BAP, Marius Müller-Westernhagen, die Spider Murphy Gang und Annette Humpe sind die richtige Adresse. Auch der Umstand, daß Prescher sozusagen beim Plaudern über das Thema gerne abschweifend auf Hölzchen und Stöckchen kommt, macht die Lektüre kurzweilig und lesenswert. Aufschlußreich ist das Personenregister am Ende des durchaus unterhaltsamen und informativen Buches durch seine Nennungen bzw. Weglassungen von Namen, wenn es auch m.E. nicht unbedingt die ganze Geschichte der deutschsprachigen Popmusik (nach 1945) spiegelt. Dankenswert sind allemal die Plattentips „Zum Weiterhören“ an den Kapitelenden.
Manfred Prescher – „Es geht voran“
Die Geschichte der deutschsprachigen Popmusik
© 2018 Theiss / WBG etwa 240 Seiten, Flexcover, mit 30 s/w-Abbildungen, Register
ISBN: 978-3-8062-3776-4
19,95 €
Weitere Informationen: www.wbg-wissenverbindet.de
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