Ende offen

„Drei Gesichter“ von Jafar Panahi

von Renate Wagner

Drei Gesichter
(Se rokh - Iran 2018)

Regie: Jafar Panahi
Mit: Behnaz Jafari, Jafar Panahi, Marziyeh Rezaie u.a.
 
Der Filmemacher Jafar Panahi wurde im Westen nicht zuletzt deshalb bekannt, daß seine Heimat, der Iran, ihn als Staatsfeind betrachtet und behandelt. Filme zu machen, ist ihm verboten. Er tut es trotzdem („Taxi Teheran“ gewann 2015 in Berlin den „Goldenen Bären“), und sein jüngstes Unternehmen dieser Art landete bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes (ohne die Anwesenheit des Regisseurs). „Drei Gesichter“ ist eine seltsame, scheinbar schlichte, schöne und aufschlußreiche Geschichte.
Es könnte nicht dramatischer beginnen: Das Wackelvideo eines Teenagers, der Hilfeschrei eines Mädchens namens Marzi (Marziyeh Rezaei). Sie will aus der Enge und Hoffnungslosigkeit ihres Dorfes heraus, will Schauspielerin werden, hat der großen Diva (Behnaz Jafari, die sich selbst spielt) oftmals geschrieben, ohne Antwort zu erhalten. Und jetzt bringt sie sich um. Und stürzt, mit einem Seil um den Hals, in den Abgrund. Eine Freundin wird das Video weiterleiten.
 
Behnaz Jafari erhält es tatsächlich durch ihren Freund, den Filmemacher Jafar Panahi, der sich ebenfalls selbst spielt: ein bißchen wie unser Erwin Steinhauer aussehend, gelassen, ruhig, ein Mann, der sich im Hintergrund hält und den Frauen das Feld überläßt. Vor allem Behnaz, die an seiner Seite im Auto sitzt und mit ihm in das Dorf fährt, aus dem das Mädchen stammt.
Was wie ein hochdramatischer Krimi begann, könnte einer sein – Suche nach dem Mädchen, das vielleicht doch nicht tot ist (der Verdacht der Schauspielerin schwebt im Raum, Freund Jafar Panahi könnte das Ganze als Elemente eines Film „inszeniert“ haben). Man findet sie nicht am Friedhof (nur eine alte Frau in einer ausgehobenen Grube, die dort „probeliegt“ – aber mit einer Lampe, damit die Schlangen nicht kommen). Schließlich kommt man auf Umwegen – über die Familie, über die Freundin – doch auf Marzis Spur. Behnaz ist tobsüchtig wütend, über den Trick, sie hierher gelockt zu haben. Das Mädchen schreit sich seine Verzweiflung von der Seele, zu solchen Mitteln greifen zu müssen, um endlich wahrgenommen zu werden.
Diese Suche, die den Krimi bald beiseite läßt, ist ein Roadmovie (und als solches schlicht und ohne Aufwand, gedreht in der trockenen iranischen Landschaft, in der Bescheidenheit der Dörfer, der Unzulänglichkeit der Straßen). Roadmovies sind auf Begegnungen aus – und das liefert Jafar Panahi: Er zeigt die Welt der iranischen Dörfer und zeichnet damit unpathetisch ein großartiges Bild, wie die Menschen dort denken.
 
Alles läuft auf vorgegebenen Bahnen, nach Ritualen (wo das abweichende Verhalten des Mädchens Marzi ihre ganze Familie in Verruf bringt). Die kurvigen Straßen zum Dorf sind so eng, daß man sich Hupsignale ausgedacht hat, um Gegenverkehr und die Notwendigkeit des Wartens auf den anderen anzuzeigen: Die Idee, die Straßen zu verbreitern, wird abgelehnt. Man erfährt, wie wichtig die Tiere sind (gleich nach Allah, denn sie sichern das Leben) – hier geht es nur um die Realität des Alltags. Alles darüber hinaus ist „unnützes Wissen“, das sie nicht brauchen. Sie haben ja auch ihre (abergläubischen) Rituale: die Bauern glauben ganz fest, daß man die Vorhaut eines Jungen an einem guten Ort vergraben muß, der sein Leben bestimmen wird.
Sie haben im Dorf von allem zu wenig, aber eine Fernsehschüssel gibt es in jedem der schäbigen Häuser, und jeder kennt Behnaz Jafari – aber man hat das Gefühl, daß die Leute auch gastfreundlich wären, wäre sie nicht so berühmt. Aber die alte Schauspielerin, die aus der verfemten „Vor der Revolution“-Zeit des Schahs stammt, die nun in einer ärmlichen Hütte wohnt und mit der niemand verkehrt – das ist eine verachtete „Gauklerin“, und die Idee, daß Marzi ein solches Schicksal anstrebt, macht ihren Bruder tobsüchtig und gewalttätig.
Das Bild, das sich im Film von Jafar Panahi zusammen setzt, ist nicht eine Minute diffamierend. Dennoch ist es als Erkenntnis hoffnungslos: Hier stellt sich eine Gesellschaft jeglicher Veränderung entgegen und bestraft ihre Außenseiter gnadenlos. Jafar Panahi läßt manches in seinem Film offen – hat Marzi, die am Ende Behnaz weinend nachläuft, eine Chance, in ein anderes Leben mitgenommen zu werden? Währenddessen sitzt Jafar im Auto und wartet, bis die durchs Hupen angezeigten Fahrzeuge in Sicht kommen. Denn eine Straße, wo alle Platz haben, wird es nicht geben… Nie? fragt man sich.
 
 
Renate Wagner