And the „Oscar“ goes to…

von Renate Wagner

And the „Oscar“ goes to…
 
Es war eine seltsame Nacht, ein Favoritensterben und Überraschungen, die dann sofort die Wogen hochgehen ließen. Nun bin ich ein Fan von „Green Book“, dem offenbar allgemein so verachteten Film, weil er nichts weiter sein möchte als ein „well made movie“. Was mir, wenn es eine wichtige Geschichte erzählt, dann immer noch lieber ist als die Affektation der Regisseure, die gewiß sehr viel können, aber stets danach schielen, daß jeder auch bemerkt, wie toll und intellektuell und innovativ und ungewöhnlich und weiß der Himmel was noch sie alles sind… In diesem Sinne war ich mit dem überraschenden Ende, mit „Green Book“ als bestem Film, ganz zufrieden, wenngleich es, wie gesagt, „interessantere“ Streifen im Angebot gab. Trotzdem – die „Oscar“-Academy hat schon „falscher“ gegriffen.
Favoritensterben zeigte sich bei den „besten Hauptdarstellern“, wobei ich natürlich die Quoten der Wettbüros nicht kenne, aber ich bin überzeugt, daß Glenn Close und Christian Bale weit vorne lagen. Der Fall Glenn Close ist besonders tragisch, denn sie wurde bisher siebenmal nominiert, und nach den Preisen, die sie für „Die Frau des Nobelpreisträgers“ (an sich eine schwache Soap, aber sie war toll) schon heimgetragen hat, schien es eine „sichere Bank“. Sie wirkte auch sehr siegessicher, als sie in ihrem phantastischen Kleid (goldene Robe mit Schleppe, eine Königin) in der ersten Reihe saß – als hätte sie schon gewonnen. Nun, sie ist 72, „Oscar“-Rollen gibt es nicht alle Jahre, zumal nicht in ihrem Alter, also war’s das wohl. Wenn man den Übergangenen dann irgendwann einen „Ehren-Oscar“ nachwirft, wirkt das immer wie Hohn…
Gerne gebe ich zu, daß die Siegerin, Olivia Colman in „The Favourite“, die weit interessantere Darstellerinnen-Leistung vollbracht und zu Recht gewonnen hat, echt überrascht wirkte und bei ihrer Dankesrede sehr sympathisch war. (Nur ihr grünes Kleid mit grauer Drapierung mag tausendmal von Prada gewesen sein, blöd hat es doch ausgesehen.)
 
Christian Bale saß vorne, wieder gertenschlank, mit Bart: Niemand, der es nicht wußte, hätte diesen Schauspieler mit dem dicklichen Dick Cheney in „Vice“ in Verbindung gebracht – eine unter aufopfernder körperlicher Qual errungene Meisterleistung. Bale hat 20 Kilo zugenommen und nachher wieder abgespeckt, das ist ein Opfer, das man wohl vor allem in Hinblick auf einen „Oscar“ vollbringt… (normalerweise funktionierten solche Kunststücke in der Vergangenheit). Daß dann Rami Malek die Statue gewann, der in „Bohemian Rhapsody“ ja doch nicht viel mehr tun mußte, als möglichst schrill wie Freddie Mercury auszusehen (während Bale vermittelte, wie skrupellos Politik gemacht wird, die Hunderttausende Menschenleben kostet…) – ja, das war überraschend.
Nicht überraschend der Nebenrollen-„Oscar“ für Mahershala Ali in „Green Book“, eine hoch souveräne, hoch differenzierte Leistung – und wohl die einzige, die den Prognosen entsprach. Gerne gönnt man Regina King ihren Nebenrollen-„Oscar“ für „If Beale Street Could Talk“ (nach dem Roman von James Baldwin), aber ehrlich gestanden war ihre „gute Mutter“ hier nicht annähernd so interessant wie die „böse Gattin“, die Amy Adams in „Vize“ gezeigt hat… Aber „Oscars“ werden immer auch Geschmackssache bleiben.
Hollywood hat sich auf „Roma“ versteift, es wurde bester fremdsprachiger Film und Alfonso Cuaron bester Regisseur, sicherlich verdient, da gibt es nichts zu meckern. Spike Lee, der wohl mehr erwartet hat als nur einen Drehbuch-Oscar, sorgte in lila Gewand mit lila Mütze für starke Präsenz zumindest seiner Person. Es war überhaupt ein „Oscar“, wie er politisch korrekter nicht hätte sein können: Man hatte den Eindruck, kein weißer Präsentator wagte sich ohne „farbige“ Begleitung auf die Bühne. Jetzt kann man vielleicht langsam, irgendwann den Krampf mit den Minderheiten aufgeben und zur schlichten Normalität kommen.
 
Nun, Hollywood ist jedenfalls angekommen, Amerika unter Trump vielleicht noch nicht ganz, aber wie man sieht – Bewußtseins-Fortschritt ist möglich.
P.S. Daß ich relativ „leicht“ bis halb 6 Uhr früh vor dem Fernseher ausgeharrt habe, dankte ich den Pausengesprächen von Alexander Horwath und (mir gänzlich unbekannt) Lillian Moschen, zwei hoch kompetente Leute, die sich dennoch nicht aufs hohe Roß geschwungen, sondern ihr Wissen klug und doch sehr persönlich gefärbt mitgeteilt haben. Ich habe mich auf jede Werbepause des US-Fernsehens gefreut, weil dann die Wiener Moderatoren in Aktion traten…
 
Renate Wagner