Kult, Kommerz und
Kinderzimmer
Angefangen hat aber alles schon vor fast 67 Jahren - in Hamburg - ja, sie lesen richtig! Denn wenn man es ganz genau nimmt, ist Barbie ein Klon, genetisch identisch mit einer Figur, die 1952 von dem damaligen Haus-Zeichner der BILD-Zeitung, Reinhard Beuthien in einem Handstreich und aus einer Verlegenheit heraus geschaffen wurde: der BILD-Lilli. Lilli war eine süße langbeinige Blondine mit Pferdeschwanz, die viele Jahre lang täglich eine kesse Bemerkung und ihre Capricen an die Leserschaft
Aus Lilli wird Barbie
Die ebenso perfekte Gestalt der Puppe geriet 1956 ins Visier von Ruth Handler, der Ehefrau eines der „Mattel“-Gründer, die „Lilli“ bei einer Europareise in Luzern entdeckte. Ruth Handlers Wunsch, eine wirklich weibliche, sexy Puppe zu produzieren bestand schon seit Jahren, nun sah sie die Umsetzung ganz nah vor sich. So wie „Lilli“ sollte ihre Traumpuppe sein! Drei Jahre mit Lizenz- bzw. Patentverhandlungen, Entwürfen, Probeproduktionen und Styling vergingen, bis
Was dann begann, war nicht nur der Siegeszug einer Anziehpuppe durch die Kinderzimmer der Welt, eine Verführung (geflüstert) „von Mattel“, es entstand ein Mythos, es begann ein Kult, der alle Bildungsschichten, alle Haushalte, alle Nationen erreichte. Geniales Marketing transportierte Barbie in die entlegensten Winkel und öffnete ihr neben den Regenmänteln von Exhibitionisten die Studios der großen Modemacher wie Chanel, Dior und Givenchy, die Ateliers international anerkannter Künstler, seriöse Ausstellungshallen und die Schreibwerkstätten von Autoren und Journalisten (sic!). Gesellschafts- und Kunstwissenschaftler nahmen sich ganz ernsthaft des Phänomens und Themas „Barbie“ an.
Barbie blieb zwar stets Spielzeug, begehrt von kleinen Mädchen rund um den Erdball, die natürlich auch alle Neuerungen haben wollten, wie die raffiniert die Produktpalette erweiternden sozialen Ergänzungen Ken, Curtis, Skipper, Brad, Cara oder Tutti u.a., sowie die neuen Kleider, Möbel, Accessoires, Autos, ja sogar Häuser! Barbie wechselte Haut- und Haarfarbe um überall akzeptiert und en vogue zu sein, fuhr Motorroller (natürlich mit Helm) und Boot.
Schwabinchen, Gigi & Co.
Daneben wurde sie zum Sammelobjekt und Gegenstand unserer Alltagskultur, bewertet und. in
Top-Designer kleiden Barbie ein
1994 setzte zu Barbies 35. Geburtstag eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau einen Markstein: Künstler und Designer zeigten ihre Sicht des ästhetischen Phänomens, Modeschöpfer wie Bogner, Kern oder Steilmann statteten die Puppe mit Haute Couture und Prêt-à-porter aus. Menschenmassen schoben sich durch die Ausstellungsräume und erwiesen Barbie Referenz, verächtlichen Spöttern (wie dem Verfasser) wurden die Augen weit, die Dimensionen des Projekts „Barbie“ aufgezeigt und Negierende wurden zu bekennenden „Barbieisten“.
Skurriler Nebeneffekt der Barbiemania: in den USA (wo sonst?) läßt sich seit Jahren eine - man kann es nicht vornehmer formulieren - völlig bescheuerte Blondine durch ständige kosmetische und orthopädische Operationen dem Bild der Puppe annähern, um eine lebende Barbie zu werden, den eigenen Alterungsprozeß, dem das Spielzeug natürlich locker widersteht, ignorierend. Schauderhaft!
Barbie - immer im Trend
In der Hauptsache jedoch folgt die Puppe in Mode und Erscheinung lebenden Modellen, Brigitte Bardot, Grace Kelly, Farah Fawcett, Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Vivian Leigh und Jaqueline Kennedy sind nur einige der prominenten Vorbilder, deren Garderobe und Ambiente kopiert wurde. Das deutsche Top-Modell Claudia Schiffer wurde während ihrer Laufsteg-Karriere die Inkarnation der schönen Puppe. Ungebrochen ist - und unangefochten - der Siegeszug der echten Barbie, des Spielzeugs. Klug den Entwicklungen in Kultur und Mode, dem veränderten Menschenbild angepaßt,
Der von Robert Tonner 2002 unter dem Namen „Emme“ (dem Catwalk-Namen des US-Models Melissa Miller) als mollige Alternative zur überschlanken Barbie entworfenen Puppe war kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Eine spannende Geschichte, in vielen Büchern nachzulesen
Die ganze spannende Geschichte der Barbie erfährt man in allen Details und natürlich reich bebildert in Marco Tosas 1998 bei ars edition in München erschienenem Buch "Barbie" - Tausend Gesichter
Literatur: - Marco Tosa: „Barbie- Tausend Gesichter einer Kultfigur“, 1998 ars edition, München
- Karl-Heinz Gessat: „Barbie - Vom Kinder- zum Sammlertraum“, 1993 Kunstverlag Weingarten, Weingarten - „Künstler und Designer gestalten für und um Barbie“, Ausstellungskatalog, 1994 Wunderlich/Rowohlt, Reinbek - Dieter Warnecke: „Barbie im Wandel der Jahrzehnte“, 1995 Wilhelm Heyne Verlag, München - Felicitas Bachmann: „Barbie, Barbie – Ein Kultbuch in rosarot“, 1998 Ullstein Verlag - Janine Fennick: „Barbie – Das neue Kompakte Bestimmungsbuch“, 1998 Könemann Verlag - Barbie-Sammler-Katalog - 1993 Battenberg Verlag/Weltbild
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