Juden, Kultur und Wiener Moderne

Design Dialogue: Jews, Culture and Viennese Modernism - Elana Shapira (Ed.)

von Renate Wagner

Juden, Kultur und Wiener Moderne
 
Zu Symposien fliegen im allgemeinen Fachleute zu ihrem Thema ein, und oft arbeiten sie in ihren Vorträgen auch ungewöhnliche Ansätze und Erkenntnisse auf. Danach wird stets die Hoffnung geäußert, die Beiträge irgendwann auch lesen zu können. Und hier ist der Böhlau Verlag (offenbar auch im Akquirieren der nötigen Sponsoren) vorbildlich, immer wieder liegen Symposien dann in Buchform vor. Wie nun jener Dialog zwischen Wiener Design und jüdischen Künstlern, der im Oktober 2016 im Wiener MAK stattgefunden hat. Elena Shapira, die auch die umfassende Einleitung schrieb, fungiert als Herausgeberin. Erwähnt muß werden (was für die meisten Leser vermutlich kein Hindernis darstellt), daß die englischen Vorträge nicht ins Deutsche übertragen wurden. Sie nehmen – neben den deutschen Artikeln – doch einen bedeutenden Teil des Buches ein.
 
„Design“ im weitesten Sinn, als Begriff, der viele Künste umfaßt, war im Wien zwischen Biedermeier, Historismus und so genannter „Moderne“ immer auch eine Sache jüdischer Mäzene und Künstler (wobei sich 1938 hier der Vorhang senkte und die ewige tragische Zäsur zu vermerken ist). Zu diesem Thema kann man gewissermaßen von allen Seiten Zugang finden, Personen, Tendenzen, übergreifende Fragen.
Schon im Vormärz wurde etwa Freiherr Louis von Pereira-Arnstein (der Enkel von Fanny von Arnstein) zum Auftraggeber für den deutschen Architekten Ludwig Förster, der auch in dem hochinteressanten und reich bebilderten Artikel über Wiener Synagogen als Planer (etwa des Leopoldstädter Tempels) aufscheint. Da bekanntlich das reiche Angebot von Wiens Tempelbauten während der Nationalsozialistischen Ära zerstört wurde, sind hier alte Bilder und Pläne besonders aufschlußreich. Auch im Hinblick auf die Stile – Orientalismus, Byzantinismus, genau wie alte deutsche Baukunst, bis man in den dreißiger Jahren auch in diesem Bereich „modern“ baute (die damalige Synagoge in Hietzing).
 
„In welchem Styl wollen wir bauen?“ war für Juden eine interessante Frage – wollten sie sich absetzen, wollten sie sich auch hier assimilieren? Schließlich waren sie die Auftraggeber der meisten Ringstraßen-Palais, die glücklicherweise bis heute erhalten sind. Hier wählten sie meist „europäisierende“ Stile, wobei klar ist, daß die jeweiligen Auftraggeber genaue Wünsche an ihre Architekten hatten. Die Ringstraße als „jüdischer Boulevard“ spielt bei den Betrachtungen natürlich eine große Rolle.
Bemerkenswert auch die Einzelpersonen, die in einzelnen Vorträgen in den Fokus gerückt wurden – bekanntere wie Oskar Mamorek (wichtig seine Begegnung mit Theodor Herzl, die ihn zum Zionisten machte) oder Josef Frank, aber auch weniger bekannte wie Emilie Bach, die in Wien die Fachschule für Kunststickerei gründete und den Weg der Textilien in die Kunst ebnete. Oder der Architekt Carl König, Lehrer u.a. von Oskar Strnad.
 
Da man das Thema in verschiedene Richtungen denken kann, findet sich hier auch die Überlegung, warum die Praxis von Dr. Sigmund Freud so „farbenprächtig“ eingerichtet war. Oder woher wohl Felix Saltens Faszination für Teppiche herrührte. Oder welche Häuser Jakob Wassermann in Auftrag gab, bzw. kaufte.
Und ein eigener Schwerpunkt wurde auch dem jüdischen Anteil am Feminismus (im Zusammenhang mit Kunst) gewidmet – die Schulreformerin Eugenie Schwarzwald, die Keramikerin Wally Wieselthier, die Malerin Nelly Marmorek (Gattin von Oskar Marmorek), die Architektin Liane Zimbler stehen da im Zentrum, wobei es auch für Leser, die sich in dieser Welt auskennen, in so gut wie allen Beiträgen viel Neues zu erfahren und entdecken gibt.
 
Design Dialogue: Jews, Culture and Viennese Modernism - Elana Shapira (Ed.)
(Design Dialog: Juden, Kultur Und Wiener Moderne)
© 2019 Böhlau
Verlag , 476 Seiten, gebunden, 24 x 17 cm, 78 s/w- und 40 farbige Abbildungen – ISBN: 978-3-205-20634-7
€ 35,- [D]  |   € 36,- [A]
Weitere Informationen: www.boehlau-verlag.com