Schuldig?

Das mitreißende Gerichtsdrama „Die zwölf Geschworenen“ im TTT

von Frank Becker


Schuldig?
 
Das mitreißende Gerichtsdrama „Die zwölf Geschworenen“ im TTT
 
Inszenierung: Jens Kalkhorst
Mit: Ralf Poniewas, Andreas Beutner, Patrick Schiefer, Joachim Sieper, Denny Pflanz, Maurice Kaeber, Moritz Heiermann, Moritz Stursberg, Klaus Lemanczyk, David Meister, Herribert Börnichen, Robin Schmale
 
Zwölf zufällig ausgewählte Geschworene müssen als Jury im amerikanischen Strafprozeß bei Kapitalverbrechen einstimmig über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten entscheiden. Von ihnen und ihrer Gewissensentscheidung hängt ab, ob z.B. ein des Mordes angeklagter Mensch zum Tode verurteilt auf dem elektrischen Stuhl endet oder sofern Bedenken bestehen,  für nicht schuldig erklärt werden muß.
 
In dem Gerichtsdrama „Die zwölf Geschworenen“ von Reginald Rose geht es darum, daß ein junger Mann aus der „Unterschicht“ seinen Vater im Streit mit einem markanten Messer erstochen haben soll. Alle Beweise und Zeugenaussagen scheinen gegen ihn zu sprechen. Jens Kalkhorst hat in seiner Inszenierung für das TalTon Theater wie von Reginald Rose 1954 vorgesehen, zwölf Männer unterschiedlichster Charaktereigenschaften und Sozialisation im Geschworenenzimmer zusammengeführt, die nun über Schuld oder Unschuld, Tod oder Leben entscheiden müssen. Vermutlich hat nahezu jeder Theaterbesucher irgendwann Sidney Lumets grandios mit u.a. Henry Fonda, Lee J. Cobb, Jack Klugman und Martin Balsam besetzte Verfilmung gesehen – und ein Bild vor Augen. Das muß er hier jedoch geschwind ablegen: Es gibt keinen Beratungstisch, um den die Geschworenen sitzen. Es gibt kein Fenster, das geöffnet wird, um die schwüle Sommerhitze im Raum zu mildern, die auch die Gemüter hochkochen läßt. Mit nichts weiter als zwölf Stühlen, zwölf markanten Charakteren und zwei entscheidenden Beweisstücken auf engstem Raum hat Kalkhorst ausgesprochen effizient einen hochdramatischen Ablauf, das Aufeinanderprallen von Meinungen und Männern, auch körperlich, choreographiert.


Foto © TalTon Theater

Aus dem für elf der zwölf Geschworenen nicht nur aus persönlicher Überzeugung schnell  abgehakten „Schuldig“ wird durch den zweifelnden, verantwortungsbewußten Einspruch des Geschworenen Nr. 8, dessen Denkanstöße das folgende Geschehen lenken (differenziert nachdenklich: Moritz Stursberg) ein zähes Ringen um die Wahrheit. Umsichtig von dem Geschworenen Nr. 1, der der Jury vorsteht (beeindruckend sachlich: Ralf Poniewas) geleitet, tauchen die Laienrichter erst jetzt in die wirklich entscheidenden Details des Tatgeschehens ein, beginnen widerwillig, aber dann doch neugierig, Zug um Zug eine völlig neue Beweisaufnahme voller überraschender Wendungen.
Als von Detail zu Detail, von einem zweifelhaften Beweis zum nächsten deutlicher wird, daß die Beweislage mehr als dünn ist, kippen, auch in Einsicht der persönlichen Verantwortung, sukzessive die Meinungen. Die letzten beiden Hardliner, der rücksichtslos harte Geschworene Nr. 3 (beängstigend explosiv: Patrick Schiefer, dessen Schlußmonolog tief berührt) und der vulgäre Geschworene Nr. 10 (David Meister), selbst ein Emporkömmling aus den Slums, haben den häßlichsten Anteil an der mitreißenden Inszenierung zu stemmen - sie tun es mit Verve, wenn auch Meister ein wenig überzieht. Moritz Heiermann gibt den oberflächlichen Nr. 7 überzeugend und mit Bravour. Der unterkühlte Nr. 4 (Joachim Sieper), der handfeste Nr. 6 (Maurice Kaeber), der eher stille, jedoch ausgleichende und im richtigen Moment argumentierende Nr. 9 (Klaus Lemanczyk), der seichte Nr. 12 (Robin Schmale), der unsicher stille Nr. 5 (Denny Pflanz) der moralische Nr 11 (Herribert Börnichen) und der bestechend klare Nr. 2 (Andreas Beutner) bilden die solide Mitte der Jury, an der sich die harten Gegensätze und Meinungen auspendeln.


Foto © TalTon Theater

Jens Kalkhorst ist, nicht zuletzt dank eines Dutzend brillanter Darsteller, die ihre Figuren intensiv leben und ausfüllen, eine zutiefst bewegende, emotionale Inszenierung gelungen, die nach dem dramatischen Abschluß tief durchatmen läßt. Ein Bravo dafür und diesen lohnenden Theater-Abend - und unser Prädikat, den Musenkuß.
 
Spieldauer: 2 Stunden, eine Pause nach 60 Minuten
 
Weitere Informationen:  www.taltontheater.de