Schicksalsfäden

Joey Goebel – „Irgendwann wird es gut“

von Frank Becker

Schicksalsfäden
 
Erzählungen aus einem Kleinstadtkosmos
 
Joey Goebel schreibt über Verlierer, die nicht aufgeben, enttäuschte, einsame Menschen, die dennoch an ihren Träumen festhalten und über Träumer, die sich Brücken bauen. In den Erzählungen seines Buches „Irgendwann wird es gut“, die samt und sonders in dem gottverlassenen fiktiven Kaff Moberly im äußersten Norden von Kentucky am Highway 71, irgendwo zwischen Sugar Bay und Louisville spielen, spinnt er seine Nornen-Fäden, die auf magische Kleinstadt-Weise die Schicksale einiger seiner Protagonisten fabelhaft miteinander verweben. Es sind, am Weltgeschehen gemessen kleine, in ihrer Dimension für die Betroffenen aber entscheidende, das Leben bestimmende, ja schicksalhafte persönliche Katastrophen, Dramen von Ausmaßen Arthur Millers, in Prosa vom Rang W. Somerset Maughams gegossen.
 
Anthony Dent wartet am Abend mit zwei Drinks auf, Olivia, seine schöne, ferne Angebetete. Sie kommt wie immer pünktlich – als Moderatorin auf Channel Seven im regionalen Fernsehen. Störend ist nur ihr Co-Moderator Tug. Als sich die Chance auf ein wirkliches Kennenlernen ergibt, schlägt das Schicksal voller Bösartigkeit zu. Wir werden Olivia wiederbegegnen – aber auch Tug.
Unmittelbar fühl- und greifbar wird die schreckliche Einsamkeit Matts, der sich voller illusionärer Träume über Nacht in ein Motel flüchtet, sich betrinkt und noch einsamer den Morgen erlebt. Wir werden ihm ebenfalls wieder begegnen. Ein Mann kann sich nicht von seiner Mutter lösen und versäumt darüber das Leben, das Mädchen Carly will nicht zu schnell erwachsen werden, lernt im Laden der Mutter eigenwillige Charaktere kennen und erlebt wahre Freundschaft zwischen Generationen. Und ein Messie findet dank einer hübschen Frau, die womöglich noch trauriger ist als er selbst, und dank eines selbstlosen Neffen ins Leben zurück.
Moberly ist ein Goldfischteich voller ganz normaler Menschen, deren Leben nicht das ist, was sie sich erträumt haben. Aber sie kämpfen energisch um ihr winziges Stück vom Glück und versuchen sich in tiefen Selbstreflexionen zu finden. Einige wollen lieber heute als morgen aus der perspektivlosen Kleinstadt am Ohio River weg. Warum sie trotzdem bleiben (nicht alle bleiben letztenendes wirklich)? Weil sie nicht wissen, wo es besser ist. Aber auch, weil sie hoffen - und einige erfahren es - Iirgendwann wird es gut.
 
Joey Goebel führt sein vom Leben gebeuteltes, oft genug kaum lebenstüchtiges Personal nicht vor, tritt keinem von ihnen zu nahe, gibt jedem aber auch die Chance, sich entweder in seiner Qual der Erbärmlichkeit oder der Größe seiner Gefühle und seines Wertes zu präsentieren. Sensibel und nicht ohne Humor spielt er den Ball von Geschichte zu Geschichte, von Person zu Person. Selten hat mich ein Buch gleichermaßen so bewegt und gefesselt wie dieses. Es berührt mit seiner Empathie, es ist dank Goebels Sprache und Hans M. Herzogs Übersetzung Lesevergnügen von Rang, und es tröstet. Dafür unser Prädikat, den Musenkuß.
 
Joey Goebel – „Irgendwann wird es gut“
Erzählungen
Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Mit einem exklusiven Interview von Benedict Wells
© 2019 Diogenes Verlag, 320 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag – ISBN: 978-3-257-07059-0
22,- € (D) / 30,- sFr / 22,70 € (A)
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch