Als wär´ die Welt tot

Wupertaler Bühnen: Woyzeck – Fragment von Georg Büchner

von Frank Becker

v.l.: Theo Pfeifer, Thomas Braus - Foto ©  Michael Hörnschemeyer
Als wär´ die Welt tot
 
Woyzeck – Fragment von Georg Büchner
 
Inszenierung: Robin Telfer – Bühne: Siegfried E. Mayer – Kostüme: Miriam Dadel – Maske: Barbara Junge-Dörr – Musik: Martin Lejeune – Licht: Karl Ullrich Maria Feja – Dramaturgie: Wilfried Harlandt
Besetzung: Franz Woyzeck (Thomas Braus) – Marie (Julia Wolff) – Doktor (Theo Pfeifer) – Tambourmajor (Mattias Gall) – Hauptmann (Hans Richter) – Person (Maresa Lühle)
 
Krachend schlägt eine Tür im eisernen Vorhang zu, der sich hebt und den Blick auf eine Bühne frei gibt, die in ihrer Trostlosigkeit erdrückt und fasziniert. In rauschhaftem Tanz zu unter die Haut gehender Tango-Musik winden sich die Hure Marie (Julia Wolff) und ihr Geliebter, der Soldat Franz Woyzeck (Thomas Braus) zwischen den deprimierenden Keller-Trümmern eines gekachelten früheren Duschraums. Das Elend der zerbrochenen Fassaden, zerstört und nach oben aufgerissen wie nach einem Bombenangriff, bemerken sie nicht. Das Glück ist hier und jetzt. Das Glück, das ihnen nicht gegönnt ist.
 
Woyzeck, vom Doktor (skurril: Theo Pfeifer mit witzigem Assistenten-Schweif) gegen geringen Lohn als Versuchskaninchen mißbraucht und von Gesichten verwirrt, wird am Ende das einzige, was er liebt, umbringen. Wo ist die Schuld? Bei dem ständig herumgestoßenen, von jedermann verhöhnten Füsilier, der sich schließlich von allem, auch der fragwürdigen Moral frei macht? Bei Marie, die ihn mit dem Tambourmajor öffentlich betrügt? Thomas Braus erschüttert in asketischer Reduzierung. Julia Wolff gelingt die Gratwanderung zwischen fadem Glanz und Hunger nach Liebe. Bei dem Tambourmajor, den Matthias Gall aalglatt arrogant gibt, der Karikatur des Hauptmanns, bei Hans Richter in burlesken Händen oder dem Doktor, die ihn alle fortwährend demütigen? Büchner hat sein Fragment 1836 an damals Aufsehen erregende Kriminalfälle angelehnt und ohne die unmittelbare Schuld Woyzecks zu leugnen,  Fragen nach den Ursachen, nach den Beweggründen der gepeinigten Kreatur aufgeworfen.  
 
Das großartige Bühnenbild von Siegfried E. Mayer, mit dem er die biedermeierliche Welt, in der sich Woyzecks und Maries Schicksale erfüllen aussperrt, Martin Lejeunes hervorragende Musikauswahl und das zum Bühnenbild kongeniale Licht von Karl Ullrich Maria Feja machen unter der sensiblen Regie von Robin Telfer aus dem dramatischen Fragment Georg Büchners ein Werk aus einem Guß, ein Theaterereignis. Ein übriges besorgen Miriam Dadels Kostüme und Barbara Junge-Dörrs Maske. Nichts ist in dieser Inszenierung überflüssig, insbesondere nicht die nornenhaft mystische, der Handlung begleitend zugeordnete „Person“ (Maresa Lühle), von Dramaturg Wilfried Harlandt als „Fool on the hill“ angelegt – ein Engel im Auftrag des Herrn? Telfers Inszenierung greift Büchners Konterkarierung von Bibelbezügen, Märchenmotiven und Volksüberlieferung auf und kommt ihm näher als andere zuvor. Einhelliger Beifall.
 
Frank Becker, 17.2.2005