Die leisen Töne überzeugen

„Frühstück bei Monsieur Henri“ im Wuppertaler TiC-Theater

von Frank Becker

Charlotte Reinke, Hans-Willi Lukas - Foto © TiC-Theater

Die leisen Töne überzeugen
 
„Frühstück bei Monsieur Henri“
Komödie von Ivan Calbérac
 
Regie: Dustin Smailes – Regieassistenz: Nele Nagy – Bühne: Jan BauerdickKostüme: Carmen Fett – Licht: Tina Hünninghaus
Besetzung: Henri (Hans-Willi Lukas) – Constance (Charlotte Reinke) – Paul (Philip Zangerl) – Valerie (Monika Owart)
 
Es ist nicht immer nur Komödie drin, wo Komödie drauf steht. Das zeigt sich dank des einfühlsamen Spiels der vier Darsteller aktuell in der Inszenierung von „Frühstück bei Monsieur Henri“ im Wuppertaler TiC-Theater. Das Stück um einen alternden Misanthropen und die ihm aufgezwungene junge Mitbewohnerin legt im Laufe des Spiels all die seelischen Wunden frei, unter denen diese vier leiden: der grantige Monsieur Henri (Hans-Willi Lukas), die glücklose Constance (Charlotte Reinke), der in ein Korsett gepreßte Paul (Philip Zangerl), die völlig verunsicherte Valerie (Monika Owart).

Paul hat per Annonce ein Untermietezimmer in der Wohnung seines Vaters angeboten, damit dieser zum einen etwas Gesellschaft hat, zum anderen aber auch jemand ein Auge auf den kränkelnden alten Herrn hat. Constance ist nach Paris gezogen, um zu studieren, vor allem aber, um dem Reglement ihres Vaters zu entkommen, und sie braucht das günstige Zimmer. Der mürrische Mann und das entwurzelte Mädchen werden sich trotz aller Gegensätze handelseinig, wobei schon eine gewisse wechselseitige Akzeptanz spürbar wird. Als Constance das Geld ausgeht, macht Henri ihr ein unmoralisches Angebot: Wenn sie seinen Sohn Paul umgarnt, damit dieser seine Henri verhaßte Frau Valerie verläßt, schenkt er ihr die Miete für sechs Monate. Constance geht widerstreben auf das intrigante Angebot ein, es kommt beinahe so wie es kommen soll, schließlich ist sie ein attraktives Mädchen, doch Constances letztliche Skrupel und die Wege des nicht lenkbaren Schicksals lassen die Geschichte anders ausgehen.


v.l.: Hans-Willi Lukas, Philip Zangerl - Foto © TiC-Theater

Wenn auch zu Beginn zu laut inszeniert (man muß nicht ständig brüllen, um Ruppigkeit zu illustrieren), zeichnet Hans-Willi Lukas im späteren Verlauf des Stücks sensibel einen verletzten, verbitterten Mann, dem das Leben vor 30 Jahren das wertvollste genommen hat, seine geliebte Frau. Die Gesellschaft des jungen Mädchens anzunehmen, ist für ihn ein Akt der Selbstüberwindung, die in mürrische Zuneigung umschlägt. Hier zeigt sich, daß die leisen Töne überzeugen. Philip Zangerl gibt seinen Sohn Paul, der ein wenig unglücklich mit der Berufswahl als Steuerberater in den Fußstapfen des Vaters ist, der aber in der schwierigen, kinderlosen Ehe mit seiner Frau Valerie dennoch relativ glücklich lebt. Zangerl macht aus diesem Paul, im ständigen wohlmeinenden Disput mit dem Vater, die interessanteste Figur des Abends, nuanciert, differenziert und unerhört sympathisch, ein starkes Charakterbild. Die zunächst zickig und spitzig wirkende, in ihrer Verunsicherung aber dennoch anrührende Valerie ist sicher die undankbarste Rolle dieses Ränke-Spiels. Monika Owart gibt ihr die nötigen schrillen Akzente und die „fabelhafte“ Komik, läßt aber in ihrer beachtlichen Darstellung auch die Angst ums Glück und die Tragik der Verletztheit dieser fortwährend gekränkten Person sehen.
Zum Angelpunkt für alle wird durch ihre äußerlich unbeschwerte Quirligkeit Constance, die in Charlotte Reinke ihre zauberhafte Entsprechung findet. Sie bringt knisternde, wenn auch unaufdringliche Erotik ins Spiel, wuchert aber durchaus, vor allem im kurzen Quergestreiften und im kleinen Rotsamtenen, effektiv mit ihren reizvollen Pfunden (Kostüme: Carmen Fett). Auch Constance hat bereits in ihren jungen Jahren nach dem erzwungenen Abbruch ihrer Klavier-Ausbildung in Form von Entschluß- und Erfolglosigkeit ihr Päckchen zu tragen, was nicht zuletzt ihrer verkorksten Erziehung geschuldet ist. Daß Charlotte Reinke dieser Zerrissenen nicht nur überzeugend Gestalt gibt, sondern ihrer Rolle entsprechend auch noch eine begabte Pianistin ist, berührt und macht die Sache perfekt.

 
Philip Zangerl, Charlotte Reinke - Foto © TiC-Theater

Wir erleben einen Theaterabend mit zwar viel Situationskomik, jedoch mit dem wirlichen Gewicht auf dem eigentlichen, dem dramatischen Element. Bewußt wird in Dustin Smailes´ Inszenierung vom Humor nicht die tiefe Tragik überdeckt, welche aus den tiefsinnigen Dialogen spricht und die bis zum traurig versöhnenden Schluß über allen Figuren liegt. Es ist nicht wirklich eine Komödie, und eben das macht die Inszenierung sehenswert.
Da stimmt es traurig, daß in der vorletzten Reihe rechts, am Gang, während der Premiere ein Zuschauer offenbar dringende SMS zu schreiben hatte. Solche Leute sollten nicht ins Theater gehen. 
 
Aufführungsdauer 2½ Stunden, eine Pause.
Weitere Informationen:  www.tic-theater.de